Wir ahnten es

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Wie denken eigentlich diejenigen Weltverbesserer, die unsere Welt wirklich regieren?

«Q» und «James Bond», und die üblichen Verdächtigen & Diktatoren, Präsidenten und Kanzler sind es ja nicht wirklich. Sondern es sind Menschen, darunter Egozentriker und andere dominante Figuren aus dem Silikon Valley in Kalifornien, die ihrerseits die neuen Technologien und Sichtweisen entwickeln und treiben, die uns dann – nach den Regeln des Kapitalismus – antreiben.

Der jetzige Basler Soziologe und ursprünglich aus Hamburg stammende Prof. Norbert Nachtwey hat sich die Mühe gemacht, die Reden, die elektronischen und papiernen Buchbeiträge & Artikel aus dem Umfeld des Silicon Valley genauer zu analysieren und meint nun, einen neuen Geist des digitalen Kapitalismus nachgewiesen zu haben. Aktuell wird bekanntlich von sehr Wenigen ja sehr viel Geld verdient.

Welche Rechtfertigung gab es historisch und gibt heute es, so viel Geld zu verdienen? 

Die Calvinisten im 19. Jahrhundert meinten, kommerzieller Erfolg sei ein Zeichen, zu den von Gott Auserwählten zu gehören. Diese Denkweise, die z.B. in der Stadt Genf einstmals ihr bedeutendes Zentrum mit Strahlkraft hatte, prägte den liberalen Kapitalismus.

Heute hören sich die Rechtfertigungen für wirtschaftliches Handeln etwas anders an. Es geht dabei fast immer um solche Themen wie «Flexibilität» oder «Effizienz». Und manche Unternehmerinnen & Unternehmer wollen sogar gleich die ganze Welt verbessern. 

Ihr Credo: Für jedes gesellschaftliche Problem, ob nun der Klimawandel oder die soziale Ungleichheit, gibt es eine technische Lösung, mit der sich dann auch ordentlich Geld machen lässt. Diese Haltung wird als Solutionismus bezeichnet.

Wie einflussreich diese Idee heute ist, wollte Herr Nachtwey zusammen mit seinem Kollegen Timo Seidl von der Universität Wien einmal genauer herausfinden. Dafür nahmen sie sich unterschiedliche Texte aus dem Umfeld des Silicon Valley vor, dem eigentlichen Hightech-Zentrum an der US-Westküste. Ihre Ergebnisse erschienen im Fachjournal «Theory, Culture & Society».

Wie gingen die Forscher Nachtwey & Seidel dabei vor?

Mithilfe eines Machine-Learning-Algorithmus untersuchten sie zum einen die oben erwähnten Reden & Buchbeiträge von dominanten Menschen wie Facebook-Gründer Mark Zuckerberg oder Tesla-Chef Elon Musk, also der Tech-Elite an der US-Westküste. 

Zum zweiten analysierten sie die Artikel aus dem Magazin «Wired», das von vielen Tech-Entwicklern & Programmierern dort gelesen wird. 

Als dritte Quelle zogen Nachtwey & Seidl Artikel aus dem US-Ostküsten-Magazin «Harvard Business Review» heran, das eher von US-Managern gelesen wird und nicht zum eigentlichen Silicon-Valley-Milieu gehört.

Die Wahl dieser Textquellen erklärt Prof. Nachtwey so: «Dass Tech-Entrepreneure wie Zuckerberg solutionistisch argumentieren, war anzunehmen. Wir wollten aber wissen, ob die Ideologie über den exklusiven Zirkel der Silicon-Valley-Elite hinausreicht.»

Für ihre Studie klassifizierten zunächst mehrere Personen unabhängig voneinander ausgewählte Textabschnitte mit Blick auf die im jeweiligen Paragraphen genannte Rechtfertigung für wirtschaftliches Handeln: hier mal das Weltverbessern, dort mal die Flexibilität, beim dritten die Effizienz und so weiter. 

Als nächstes berechnete ein Algorithmus den Anteil der jeweiligen Rechtfertigungen innerhalb von mehr als 1,7 Millionen Textabschnitten. Für die Tech-Elite an der US-Westküste bildet der Solutionismus demzufolge tatsächlich den wichtigsten unternehmerischen Bezugspunkt. Auch in «Wired» ist diese Idee immer präsenter geworden. Bei der «Havard Business Review» aus dem US-Ostküsten-Milieu finden sich dagegen nur schwache Spuren. 

Dieses Weltverbesserungsfieber hat somit noch nicht alle Bereiche der US-Wirtschaft gepackt. Mit zunehmender Digitalisierung würde es aber immer mehr um sich greifen, so sagt Herr Prof. Nachtwey.

Herr Nachtwey ordnet seine Studie folgendermassen ein: «Wir haben als erste auf breiter Datengrundlage gezeigt, dass im heutigen digitalen Kapitalismus ein neuer Geist entsteht, der eine zentrale unternehmerische Rechtfertigung liefert. Und dieser Geist ist massgeblich vom Solutionismus beeinflusst.»

Diesen Geist schätzt Prof. Nachtwey aber als problematisch ein, weil er demokratische Prozesse geringschätze. Der «grosse Macher» Elon Musk z.B., halte eher wenig von Arbeitsschutz und demokratischer Regulierung. Die sichtbare Folge: In seinen ostdeutschen Tesla-Fabriken passieren aktuell z. B. viel mehr Arbeitsunfälle als in ergleichbaren Audi-Fabriken, die von anders tickenden Managern geführt werden.

Forscher Nachtwey kritisiert auch Meta, vormals als Facebook weltumspannend bekannt: Es, also Meta, behaupte, die Welt zusammenzubringen, lasse aber z.B. die Ausbreitung von fake news zu. 

«Der Solutionismus bekämpft reale Probleme gar nicht, er ist nur eine ideologische Hülle», so die Schlussfolgerung der beiden Professoren Nachtwey und Seidel.

Seine Studie versteht Herr Nachtwey als Kritik an den Selbstdarstellungen der US-amerikanischen Tech-Giganten, « … denen wir mit viel Skepsis begegnen sollten.»

So der Ratschlag des Professors, der sich mit einem unbestimmten, schon sehr viel länger anhaltenden Grundgefühl bei inzwischen sehr vielen Menschen ganz gut deckt! 

Wir haben es gewusst.

Quelle: 

Oliver Nachtwey and Timo Seidl

The Solutionist Ethic and the Spirit of Digital Capitalism

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Theory, Culture & Society (2023), doi: 10.1177/02632764231196829Foto: https://www.zeit.de/kultur/2023-07/evgeny-morozov-kuenstliche-intelligenz-risiken-silicon-valley/seite-2

Foto: https://www.zeit.de/kultur/2023-07/evgeny-morozov-kuenstliche-intelligenz-risiken-silicon-valley/seite-2

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