Ein Stück vom Himmel

Auszeit mit

Mal ganz etwas anderes…

Was, die Frage sei erlaubt, verbinden den Formel-1-Rennsport und die Rock-Musik? Was haben ein röhrender 1,6-Liter Sechszylinder Turbo und ein Rock-Song aus einem voll aufgedrehten Bühnenlautsprecher gemeinsam? Eigentlich nichts, auf den ersten Blick. Mal abgesehen von der Lautstärke vielleicht, die sowohl beim Grand Prix in den Häuserschluchten von Monte Carlo als auch beim Stones-Gig im Berner Wankdorfstadion (wenn er denn nach der Absage von letzter Woche irgendwann doch noch stattfindet) die noch halbwegs erträglichen 100 Dezibel (dB) um einiges überschreitet.

Nun gibt es allerdings einen Ort – und das erst noch in der Schweiz – wo sich der Automobil-Rennsport und die Rock-Musik treffen. Ohne Getöse und Gedröhne jedoch; absolut lautlos nämlich. Bei nachweislichen 0 (Null!) dB. Etwas erhöht über dem Lago di Lugano. In angenehmer Entfernung zum städtischen Rummel der Tessiner Touristen-Metropole.

Es entbehrt nicht einer gewissen Tragik, dass dieser Ort der Begegnung ein Friedhof ist. Mit Blick auf Monte Brè und Monte San Salvatore. Einer der schönsten Gottesäcker weit und breit. Die letzte Ruhestätte des ehemaligen Formel-1-Piloten Clay Regazzoni und des einstigen Frontmanns von «Gotthard», Steve Lee. Ihre Gräber, die nur ein paar Meter auseinanderliegen, sind so etwas wie der letzte Zufall in der Vita der beiden über die Schweizer Grenzen hinaus wohl bekanntesten Bürger von Porza, dem 1500-Seelen-Idyll oberhalb von Lugano.

Nun gehören Besuche auf den Friedhöfen dieser Welt nicht zu meinen vordringlichen Leidenschaften. Der von Porza macht da allerdings eine Ausnahme. Schon nur die phantastische Weitsicht lohnt einen Marschhalt. Und so führt mich meine Ferienreise auch hierhin. Ins verträumte Schmuckstück mit der Postleitzahl 6948, der Heimat oder Wahlheimat von ein paar beeindruckenden Persönlichkeiten.

Von Bernardo Biondetti zum Beispiel, einem Hauptmann und Ingenieur, der im 16. Jahrhundert in Malta in den Augustinerorden eintrat und dort die Renovation der Festungswerke leitete, ehe er nach Porza zurückkehrte und sein Vermögen dem Spital von Lugano vermachte. Oder von Giovanni Antonio Caligario, dem nachmaligen Baumeister des Herzogs von Savoyen (1584).

Den amerikanischen Musiker und Komponisten Louis Lombard zog es in den 20er-Jahren ebenso immer wieder nach Porza wie etwas später den ehemaligen deutschen Bundeskanzler Konrad Adenauer oder den britischen Schriftsteller Anthony Burgess.

Ein Sohn von Porza war auch der 1974 verstorbene Nino Rezzonico, Sprössling einer wohlhabenden Familie und Gründer der Tessiner Faschistischen Bewegung. Er hat auf dem Friedhof seiner Heimatgemeinde nach einem umtriebigen Leben die letzte Ruhe gefunden.

Ähnliches lässt sich auf einer völlig anderen Ebene auch von Gian-Claudio «Clay» Regazzoni sagen. Regazzoni ist mit fünf Siegen, 28 Podestplätzen und einem zweiten WM-Platz in der Saison 1974 der bis heute erfolgreichste Schweizer Formel-1-Pilot. Seine Zähigkeit brachte ihm einst den Beinamen «der Unzerstörbare» ein. Dennoch ereilte ihn das Rennfahrer-Schicksal. 1980 bezahlte er den Frontal-Crash mit einer Betonmauer in Long Beach mit einer Querschnittlähmung und dem Ende einer grossen Karriere.

Seit dem 15. Dezember 2006 liegt er mit einer gelben Rose im Sarg, einer letzten Gabe seines Sohnes Gian Maria, in seinem Geburtsort begraben.

Indes in Horgen (ZH) wurde 1963 Stefan Alois Lee geboren. Der Sohn eines Briten und einer Schweizerin nannte sich bald einmal Steve Lee… da war seine Familie jedoch längst ins Tessin gezogen und Steve zum Goldschmied ausgebildet worden. 1990 gründete er zusammen mit ein paar Kumpel die Rockband «Krak», die nur kurze Zeit später auf Anraten des «Krokus»-Bassisten und Produzenten Chris von Rohr in «Gotthard» umbenannt wurde. Der Start zu einer veritablen Erfolgsgeschichte. Steve Lee war die Stimme des Schweizer Vorzeige-Rocks schlechthin. Leider verstummte diese vor 12 Jahren nur allzu abrupt. Das Grab des begnadeten Sängers, der zuletzt in Porza lebte, deutet – unmittelbar neben jenem von Regazzoni – so etwas wie die Nähe von Automobilrennsport und Rock’n Roll an. Der «letzte Zufall», wie bereits weiter oben erwähnt.

Zufall sicher auch, dass die beiden Schweizer Stars Porza zu ihrer Home Base wählten. Zwei Stars, die das wirklich auch waren. Da der friedvolle Tessiner mit seinem markanten Schnauzer in Schlagdistanz zu Koryphäen wie Niki Lauda, Carlos Reutemann oder Emerson Fittipaldi. Dort der sympathische und hochtalentierte Steven Tyler (Aerosmith) vom Lago di Lugano. Zwei Ambassadoren unter dem Schweizer Kreuz. Jeder auf seine Art und zu seiner Zeit Repräsentant von Schweizer Qualitätsarbeit. Auch das ein Zufall.

Und noch einer – ein trauriger mithin: Sowohl Clay Regazzoni als auch Steve Lee wurden Opfer eines Verkehrsunfalls im Ausland. Clay am 15. Dezember 2006 bei einem Crash mit einem Sattelschlepper westlich von Parma. Steve am 5. Oktober 2017 auf einer Motorradtour auf der Interstate 15 in der Nähe von Mesquite in Nevada. Ein Lastwagen war ausser Kontrolle geraten und hatte fünf abgestellte Motorräder durch die Luft geschleudert, wovon eines den Sänger traf und tötete.

Sicher war es völlig anders gemeint, als Steve Lee gemeinsam mit Band-Kollege Leo Leoni im Jahr 2000 den Titel «Heaven» schrieb und komponierte. Mit seinem Tod bekommen die Worte des Songs allerdings eine auch nicht ganz unpassende Aktualität. Sie beschreiben das, was man glaubt, zu erkennen, wenn man bei Clay Regazzoni und Steve Lee auf dem Friedhof von Porza steht: Ein Stück vom Himmel…

Der Text ist uns präsent: «Let me find my piece of heaven, let me find my way back home…»

Keine Frage, mit dem Blick über den See zu Monte Brè und Monte San Salvatore ist das besagte Stück vom Himmel für Clay Regazzoni und für Steve Lee nicht allzu weit weg.

Kommentieren Sie den Artikel

Bitte geben Sie Ihren Kommentar ein!
Bitte geben Sie hier Ihren Namen ein