Fragwürdige Nähe

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Der Jahrestag der ersten russischen Bombardierungen auf ukrainisches Staatsgebiet (am 24. Februar) ist nun wirklich nichts, worauf die Gläser erhoben werden müssten. Ganz im Gegenteil. Der blutige Konflikt, der quasi in unmittelbarer Nähe unserer eigenen Haustüre jeden Tag neue Opfer fordert, lässt uns Menschen dennoch hin und wieder rätselnd zurück. Daran ändern auch die Auftritte des Schweizer Historikers und Verschwörungstheoretikers Daniele Ganser nichts Wesentliches. Die kruden Anschauungen des selbsternannten Friedensforschers tragen keineswegs dazu bei, die aktuell Weltlage besser oder überhaupt zu verstehen. Aber immerhin wird ihm im Basler Stadtcasino ein Forum geboten, um seine Hirngespinste im öffentlichen Raum verbreiten zu können.

Im Basler Stadt-Casino. Ausgerechnet. Abgesegnet von der Casino-Gesellschaft, die unter Vortäuschung moralischer Skrupel den Auftritt der kalifornischen Stripper-Truppe «The Chippendales» zum Umzug ins Musical Theater verdonnerte. Moralische Skrupel! Die kommen nicht auf, wenn einer, der schon seit Jahren den Angriff auf die New Yorker «Twin Towers» als USA-eigene Inszenierung verkauft, die Metzelei in der Ukraine schönredet. Offenbar wird dabei höher gewertet, dass Herr Ganser ein Kind Basels ist, als dass es seinen schrägen Theorien an einem historischen Fundament mangelt. Allein die Tatsache, dass dem umtriebigen «Festredner» sowohl von der ETH Zürich als auch von der Universität Basel gleich zweimal die Habilitation verweigert worden ist, sollte Gründe genug dafür bieten, die Inhalte der Ganser’schen Vorträge zu hinterfragen. Zumal wenn sogar Prof. Dr. Georg Kreis, Gansers ehemaliger Doktorvater notabene, dezidiert zu Protokoll gibt: «Ich würde Daniel Ganser ein angesehenes Forum nicht bieten». Kreis ist immerhin einer der angesehensten Schweizer Historiker. Emeritierter Professor für Neuere Allgemeine Geschichte und Geschichte der Schweiz an der Universität Basel. Dazu war er bis Juli 2011 Leiter des Europainstituts Basel und bis Ende 2011 Präsident der Eidgenössischen Kommission gegen Rassismus. Ein Mann, der weiss, wovon er spricht. Keine Frage. Bei Daniele Ganser stellt sich das ein ganz klein wenig anders dar.

Nun, mit seiner ausformulierten Nähe zu den russischen Aggressoren gehört Ganser zu einem illustren Club Putin-naher Zeitgenossen. Der ehemalige Deutsche Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) zum Beispiel gehört zu ihnen. Obwohl geächtet von seiner eigenen Partei sowie kaltgestellt von grossen Fussball-Kalibern wie Borussia Dortmund oder dem Deutschen Fussball-Bund hält Schröder beharrlich an seiner Verwaltungsratstätigkeit für den russischen Ölkonzern «Rosneft» fest. Und – sich öffentlich von Putin und dessen Machenschaften zu distanzieren, daran verschwendet er schon gar keinen Gedanken.

Noch ein Deutscher schleicht sich zunehmend öfter in den Dunstkreis des russischen Alleinherrschers: Dr. Thomas Bach, seines Zeichens – noch – Oberhaupt des internationalen Olympischen Komitees. Dass sein inoffizielles Versprechen in Richtung Putin, den ausgeschlossenen russischen und weissrussischen Athleten wieder Zugang zu internationalen Wettkämpfen zu ermöglichen, in Sportlerkreisen für ordentlich Irritation sorgt, perlt an Bach ab wie das Eiweiss in einer Teflon-Pfanne. Wie viele andere sieht er es auch als opportun an, sich den Mächtigen dieser Welt anzudienen, wenn es von Nutzen sein kann. Beispiele dafür gibt es zuhauf. Dazu ein Stichwort: Gianni Infantino!

Und jetzt erreicht uns auch noch diese Meldung: René Fasel, der langjährige Präsident des Internationalen Eishockeyverbandes IIHF soll die russische Staatsbürgerschaft angenommen haben. Was zu denken geben sollte: Fasel selbst dementiert diese Meldung der staatlichen russischen Nachrichtenagentur nicht. Aber – auch kommentieren will er sie nicht. Dass er zum Thema, nun auch ein «Papier-Russe» zu sein, nichts sagen möchte, kann man verstehen. Es ist wie beim Verhör in einem schlechten Krimi, wenn dem Verdächtigen erklärt wird: Alles, was Sie sagen, kann gegen Sie verwendet werden.

Zur Entlastung Fasels muss erwähnt werden, dass schon viele Schweizer in Russland heimisch geworden sind oder den russischen Herrschern gute Dienste geleistet haben. Aber das waren andere Zeiten. Als ebendiese russischen Herrscher helvetische Uhrmacher, Käsermeister oder Offiziere ins Land holten. Um ihr Land zu entwickeln oder in den grossen Kriegen gegen Schwedens König Karl XII. (1708) und Kaiser Napoleon (1812) zu bestehen. Später haben selbst kluge Leute den wahren Charakter russischer Autokraten nicht erkannt. Zu erwähnen wäre in diesem Zusammenhang der ehemalige Nationalrat Léon Nicole (von 1947 bis 1955), der in seinem Buch «Meine Reise nach der Sowjetunion» (1939) das despotische Regime von Väterchen Stalin schon fast als demokratische «Wohlfühloase» der Arbeiter und Bauern beschreibt. Es sollen damit keine unzulässigen historischen Vergleiche gemacht werden. Nur sei gesagt, dass Herr Fasel sich mit seinem Irrtum über den wahren Charakter russischer Gewaltherrscher in nobler Gesellschaft befindet.

Fasel hat den «russischen Herbst» seiner (Funktionärs-) Karriere – mit der verdächtig opportunistischen Nähe zu Leuten wie Putin oder Lukaschenko – lange vor dem Ukraine-Krieg vorbereitet und organisiert. Er hat sich während seiner sport-diplomatischen Weltlaufbahn nie die Finger im Kassenschrank eingeklemmt, darf also aus juristischer Sicht ein gutes Gewissen haben. Er kann auch grundsätzlich tun und lassen, was er will. In diesem Falle geht es jedoch darum, dass er in gewisser Weise noch immer eine Person des öffentlichen Interesses ist, die nun ihr hohes Ansehen als einer der ehrlichsten und erfolgreichsten Funktionäre unserer Sportgeschichte ruiniert. Das ist sehr, sehr schade.

Daniele Ganser blickt da auf eine weit weniger bedeutende Vergangenheit als René Fasel zurück. Am Schluss treffen sich dennoch beide in demselben Topf wieder.

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