Influencer. Was bitte?

Auszeit mit

Wir sind erfreut. Sozusagen aus dem «Off» meldet sich eine ehemalige Ikone des Schweizer Fernsehens und äussert sich dezidiert zur neuzeitlichen Berufsgruppe der «Beeinflusser» – neudeutsch auch «Influencer» genannt. Die Ikone ist Kurt «Aeschbi» Aeschbacher, inzwischen auch schon 74 geworden. Einst war er Vizedirektor der Basler «Grün 80», danach das Gesicht von SRF-Gefässen wie «Karussell», «Grell-pastell», «Casa Nostra» oder «Aeschbacher» (der Sendung, die man nie nur aus Langeweile anschaut – O-Ton Aeschbi). Gewissermassen selbst ein Influencer. Nur dass in der Zeit von Aeschbachers Hochblüte die «sozialen Medien» nicht Facebook, Instagram oder YouTube hiessen, sondern das Telefon, das Fotoalbum oder der Turnverein waren. Kurzum, man musste sich noch bewegen, um allenfalls Einfluss geltend machen zu können. Aeschbi tat das in vorbildlicher Manier. Das drückt sich auch darin aus, dass er heute noch zahlreiche «Follower» hat. Insbesondere seine bunten und schrillen Outfits haben es den Nachahmern angetan. Ein letzter Vertreter des Kanarienvogel-Stils hält sich beharrlich im Schwenkbereich der SRF-Kameras: Rainer Maria Salzgeber, Sport-Fuzzi in Leutschenbach. Aeschbacher ist allerdings zugute zu halten, dass er es nie darauf abgesehen hatte, andere zu beeinflussen. Er liess sich für die Präsentation der Haute Couture auch nicht bezahlen. Vielleicht führte er gelegentlich das Label seiner eigenen Mode-Boutique in der Basler Schnabelgasse spazieren. Mehr aber nicht.

Dieser Kurt Aeschbacher also zieht den Influencern von heute ordentlich eins über den Deckel. «Um Influencer zu sein, braucht es eine relativ hohe Meinung von sich selber, eine geringe Bildung und die Frechheit, für jedes gestellte Foto viel Geld zu verlangen.» Ziemlich deutlich drückt er damit aus, was er von all jenen hält, die sich tagtäglich mit retuschierten Selbstporträts und einer Louis-Vuitton-Tasche vor dem Burj Al Arab in Dubai als Facebook-Furz ihren minderjährigen Fans präsentieren. Und damit noch Geld verdienen, muss angefügt werden.

Mit ihnen verhält es sich in etwa so wie vor Urzeiten mit den Profi-Sportlern. Typ A, nach dem Studium Rechtsexperte einer Grossbank, trifft Typ B, nach mühsam abgeschlossener Grundschule an der Offsetdrucker-Lehre gescheitert. Typ A zu Typ B: «Schon lange nicht mehr gesehen. Was machst Du gerade?» Typ B zu Typ A: «Ich bin jetzt Profi-Fussballer.» Typ A zu Typ B: « Ah, toll. Und was machst du beruflich?»

Zum besseren Verständnis: Aeschbachers Seitenhieb auf die mangelnde Bildung der «Beeinflusser*innen» ist nicht ganz aus der Luft gegriffen. Was sich heute auf den Social-Media-Kanälen als Influencer präsentiert, sind – grossmehrheitlich – junge und schöne Menschen mit dem Potential, ebenfalls jungen und, in der eigenen Wahrnehmung, schönen Menschen ein Vorbild zu sein. Ihre (Aus-)Bildung ist nicht erheblich. Viel wichtiger ist es, möglichst viele «Follower» zu haben. Das sind Menschen, die sich den Schwachsinn, der in aller Regel verbreitet wird, ansehen und – ganz wichtig – auch noch toll finden. Sind das nicht genügend, um sich mit seinen «Posts» – was per definitionem Veröffentlichungen von Inhalten bei Facebook oder Instagram sind – marketingrelevante Nachachtung zu verschaffen, dann können Follower zugekauft werden. Tatsache! 1000 Instagram-Follower kosten die Kleinigkeit von 9 bis 12 Franken. Das ist ein Schnäppchen und als Investition in ein sorgenfreies Leben keine Allerweltsübung. Denn, man weiss, dass Influencer in etwa ein Prozent ihrer Follower-Anzahl verdienen können. Will heissen: mit 200’000 Wahnsinnigen, die das Luis-Vuitton-Täschchen vor dem Burj Al Arab «liken» (also toll finden), kann er oder sie in der Grössenordnung von 2000 Franken pro Post verlangen. Und Louis Vuitton zahlt die paar Rubel tatsächlich. Weil die traditionelle Werbung als Anzeige oder TV-Spot für eine derartige Reichweite heutzutage das mehrfache kostet. Man nennt das durchaus zurecht eine Win-Win-Situation.

Wie Kurt Aeschbacher kann man die Entwicklung des nicht immer wünschenswerten Einflusses der sozialen Medien auf die vorwiegend jungen und jugendlichen Nutzer durchaus kritisch sehen. Ganz sicher ist es absurd, wenn der Influencer-Wildwuchs immer unüberschaubarere Blüten treibt, und durch nichts aufzuhalten ist. Man stellt sich ungern vor, wo alle die schönen Menschen landen, wenn dereinst nicht einmal mehr eine Retusche die verblasste Jugendlichkeit zu übertünchen hilft. Wenn sich Louis Vuitton nach unverbrauchteren Gesichtern umschaut. Wenn der Rubel nicht mehr ad libidum rollt. Wenn das Ersparte – trotz Influencer-Gehalt – nicht mehr für eine sorgenfreie Zukunft ausreicht. Wenn eine ganzheitliche Ausbildung gefragt ist.

Ob dann die Follower in die Bresche springen, die man sich teuer erkauft hat? Ob sich eventuell der Emir von Dubai, Muhammad bin Raschid Al Maktum, an das Bild mit dem Louis-Vuitton-Täschchen vor dem Burj Al Arab erinnert, sich erbarmt und einen Alterswohnsitz in einem Wolkenkratzer am Golf offeriert?

Aeschbi hat schon recht, wenn er das «Einem-Ideal-Hinterherrennen» als nicht eben ideale Lebensform betrachtet, und davor warnt, nicht «in einer Blase zu leben und für verschiedene Meinungen offen zu sein». Auch wenn der Hype der Mitgliedschaft auf den sozialen Medien ungebrochen anhält. Heisst: das Feld für Influencer ist noch immer weit offen. Die Marketing-Strategen grosser Konzerne rechnen mit ihnen als billige Multiplikatoren ihrer wirtschaftlichen Interessen. Gönnen wir es denen, die sich ihren Einfluss auf ihre Gefolgschaft bezahlen lassen können. Zu oft schon hat ein Massen-Trend im Nirwana geendet. Mit einem grossen Schaden für jene, die in ihm ihr Heil gesucht haben.

Man muss kein Feind der modernen Form der Inhaltsverbreitung sein. Und dennoch schadet es nicht, sie hin und wieder kritisch zu hinterfragen.

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