Lecks unter der Bundeshauskuppel

Die Südfassade des Bundeshauses in Bern.
Auszeit mit

Ist es nicht so? In unserer Naivität und dem Glauben an das Gute im Menschen tappen wir bisweilen sehenden Auges in die Falle der auf Vertrauen gestützten Ignoranz. Insbesondere einem Bundesrat, einem der sieben best- dekorierten Politiker unseres demokratischen Systems, trauen wir Integrität und Verschwiegenheit zu. Wo kämen wir hin, wenn wir ausgerechnet bei unseren Landesvätern und -müttern diesbezüglich Vorbehalte machen müssten?

Die jüngste Geschichte indessen lehrt uns, dass den politischen Primi inter Pares künftig genauer auf die Finger geschaut werden muss. Nun, wir haben auch jüngst verpasst, es zu tun. Deshalb wird an unserer Statt jetzt eine Arbeitsgruppe der Geschäftsprüfungskommissionen (GPK) von National- und Ständerat im Sumpf der bundesrätlichen Unzulänglichkeiten wühlen müssen. Sie überlässt damit das Feld der Untersuchungen nicht alleine der Justiz, die schon damit begonnen hat, den verschiedenen Informations- und anderen Lecks unter der Bundeshauskuppel auf den Grund zu gehen.

Die Frage, die sich den diversen Ermittlern vordringlich stellt: Was steckt hinter den Medienberichten über systematische Indiskretionen aus dem Innendepartement von Bundesrat Alain Berset? Wusste Berset Bescheid darüber, was sein Ex-Informationschef Peter Lauener dem Chef des Ringier-Verlags, Marc Walder, während der Corona-Zeit an Bundesrats-Interna alles verriet?

Das hört sich vordergründig so an, als müssten erst noch Beweise für die Mitwisserschaft Bersets gesucht werden. Auch wenn Lauener in dieser Causa die treibende Kraft gewesen sein sollte, es darf dem Magistraten zugemutet werden, dass er die Kontrolle über den Output seiner Verwaltungsangestellten zu jeder Zeit wahrzunehmen imstande ist. Es sei denn, sein Chefbeamter (Lauener in diesem Fall) trickst den Gesundheitsminister aus; und schwurbelt mit dem Ringier-CEO, der ohnehin an Selbstüberschätzung leidet – aber weiss, welches Gewicht sein Arbeitgeber im tumben Volk hat, von den Vorgängen in den «heiligen Hallen» nachweislich über ein privates E-Mail-Konto. Ob Lauener sich damit bei den Ringier-Spezis eine Gefälligkeit erschlichen hat, ist (vorerst) nicht gesichert. Kaum zu glauben, dass er sein Insider-Wissen seinem Kumpel Walder dessen blauen Augen wegen hat zufliessen lassen. Und Alain Bersets Rolle? Seine Beteuerungen, von der leidigen Geschichte, im Speziellen von der Korrespondenz zwischen seinem ehemaligen Kommunikations-Chef Peter Lauener und Ringier-Chef Marc Walder nichts gewusst zu haben, bröckeln mit den von der «Schweiz am Sonntag» veröffentlichten E-Mail-Auszügen aus dem Innendepartement. Da hiess es in einer Botschaft unter anderem: «Zwischenbericht wie immer vertraulich». Enden tut diese mit: «Freundliche Grüsse auch von Bundesrat Berset.» Auch Interviews und Berichte schienen abgesprochen und geplant gewesen zu sein, wie die genannte Zeitung recherchiert hat. «Wir verschieben die Publikation der konkreten Beispiele. Es wäre ein falsches Signal (Krise ist fertig usw.). Im Moment [sind] die restlichen Themen auf Kurs. Ich halte Sie auf dem Laufenden», schrieb Lauener an Walder. Und weiter: «Bundesrat Berset findet Ihren <Interview>-Vorschlag interessant. Soll ich mit Werner de Schepper (Co-Chef des Ringier-Titels «Schweizer Illustrierte», die Red.) weiterschauen, ob, wie, usw.» Das besprochene Interview wurde später tatsächlich veröffentlicht!

Auch wenn nachgeschoben werden muss, dass derzeit für alle Beteiligten die Unschuldsvermutung gilt, es entbehrt nicht einer gewissen Tragik, dass sich ausgerechnet ein Magistrat der «Sozialdemokratischen Partei» und seine bestbezahlten Mitarbeiter so schamlos dem Boulevard verkaufen und sich in die unterste Schublade journalistischen Schaffens packen lassen. Ob es sinnvoll ist, sich in einem Wahljahr der intellektuell überschaubaren Klientel eines Revolverblattes anzudienen und sich in einer drögen Homestory als Mitglied der Ringier-Familie zu erkennen zu geben, könnte sich zum Schluss zum berühmten Schuss in den Ofen auswachsen. Daran ändert auch nichts, dass der Botschaften-Schreiber Lauener nach dem Eklat des Bundeshauses verwiesen worden ist und sich der Kommunikations- und Politikagentur «Les Tailleurs Communication» angeschlossen hat. Dass sich die Agentur damit rühmt, «ihre inhabergeführte Kommunikations- und Politikagentur in Bern – nahe von Parlament und Verwaltung» zu sein, macht Laueners Wechsel nicht weniger delikat. Allerdings scheint der Laden von Geschäftsführerin Nicole Beutler rechtzeitig erkannt zu haben, welches Kuckucks-Ei ihm da ins Nest gelegt worden ist. Das Arbeitsverhältnis mit Lauener ist nämlich nur eine Woche nach dessen «Amtsantritt» aus nicht näher ausgeführten Gründen wieder aufgelöst worden.

Nun sind also die Justiz und die politischen Geschäftsprüfer gefordert. Und sollte sich als unverrückbare Wahrheit herausstellen, was die Medien, die sich selber seriös nennen, aufgespürt haben, dann hätte nicht nur die Politik – allen voran ein Bundesrat und seine Entourage – ein Problem. Es müsste unter dieser Prämisse auch mit dem nötigen Einsatz untersucht werden, inwieweit der Boulevard und sein edler Ritter Walder des Tatbestands der Anstiftung zur Amtsgeheimnisverletzung zu überführen wären. Wenn wir in der Schweiz in der Tat so weit sind, dass die Aussicht auf eine Home-Story in Mickey-Maus-Zeitschriften die Zunge von Geheimnisträgern lockert, dann… Gott bewahre.

Das wäre dann Wasser auf die Mühlen jener, die Politik als Vetternwirtschaft und als Beweis dafür wahrnehmen, dass eine Krähe der anderen kein Auge auskratzt. Womit der fortschreitenden Politik-Verdrossenheit in unserem Land ganz bestimmt nicht beizukommen ist.

Oh weh Stimmbeteiligung… Kein wünschenswertes Szenario so kurz vor den nationalen Gesamterneuerungs-Wahlen.  

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