Juhui, es ist «Art». Zeitgerecht. Mitte Juni. Nach einem «Total-Ausfall» aufgrund der Pandemie 2020 und einer, naja, in den Frühherbst verlegten «Light-Version» 2021. Basel macht mit diesem Event, das seine Feuertaufe vom 11. bis zum 16. Juni 1970 erlebte, mehr als deutlich, dass dem Flecken am Dreiländereck von Frankreich, Deutschland und der Schweiz der Ruf als Kunst- und Kulturstadt absolut zurecht vorauseilt. Irgendwie ist denn auch jede Neuauflage eine bunte Hommage an die – leider schon länger verstorbenen – Galeristen und Kunsthändler Trudl Bruckner, Balz Hilt und Ernst Beyeler. Von ihnen ging nämlich damals die Initiative aus, am Rhein eine Kunstmesse zu veranstalten. Bei der Premiere gaben sich gerade mal 90 Galeristen und 30 Verleger aus zehn Ländern die Ehre. Dazu verirrten sich 16.300 Besucher in die Rundhofhalle. Bei der aktuellen Ausgabe präsentieren 289 Galerien aus 40 Ländern erlesene Gemälde, Filme und Fotografien. Die Veranstalter erwarten ausserdem alleine rund 4000 Künstlerinnen und Künstler.
Kurzum – es ist die langersehnte Fortsetzung einer beeindruckenden Erfolgsgeschichte. Und längst ist es nicht mehr nur die «Art» alleine, die das Erbe von Bruckner, Hilt und Beyeler in Ehren hält. Seit 1999 zum Beispiel bietet die «Art Unlimited» Platz für grossformatige Kunstwerke wie Skulpturen, Videoprojektionen und Live-Performances. Im Schlepptau der von der arg gebeutelten Messe Basel sorgsam gepflegten Mutter aller Milchkühe fahren – natürlich im Einvernehmen mit dem unumstrittenen Zugpferd – seit 1996 auch die «Liste Art Fair Basel», seit 2005 die «Volta Art Fair Basel», und ebenso lange die «Photo Basel» mit. Die «Liste» sieht sich selbst als «internationale Entdeckermesse für zeitgenössische Kunst». Hier geben jüngere Galerien herausragenden Newcomern eine Plattform. Die «Volta» ihrerseits plakatiert sich als Basler Kunstmesse für neue internationale Positionen. Die «Photo Basel» schliesslich bietet neuen und bekannten Galerien aus dem In- und Ausland die Möglichkeit, fotografische Kunst auszustellen. Das reichhaltige (Kunst-)Angebot wird komplettiert vom «Parcours», der während der Art-Woche zu einem öffentlichen Kunstspaziergang durch Basel einlädt. Das Ganze im Geviert zwischen Wettsteinbrücke, Elisabethenkirche, Barfüsser- und Münsterplatz.
In der Tat, es ist einiges los, und Basel für ein paar Tage das Auge des Kunstwelt-Hurrikans. Es wird zweifellos auch eine Menge «Farbiges» zu sehen sein. Nicht nur der Supermond, der zwischen einem Preview-Apero in der Galerie «Carzaniga» gestern und dem Katerfrühstück heute Morgen die Aufmerksamkeit der Nachtschwärmer auf sich zog. By the way – der Supermond ist ein Vollmond (oder Neumond), der höchstens 360.000 Kilometer vom Mittelpunkt der Erde entfernt ist. Und das ist Universum-technisch sehr, sehr nah! Die NASA weiss, dass der Supermond aufgrund der «Nähe» zur Erde 7 bis 14 Prozent grösser wirkt als an normalen Mond-Tagen.
Kommen sie aber ja nicht auf die Idee, der alkoholische Nachbrenner (Stichwort Galerie «Carzaniga») lasse sie in der Mittagshitze, a), den Supermond immer noch sehen, und das, b), auch noch doppelt. Sie unterlägen einer klassischen Sinnestäuschung. Wesentlich wahrscheinlicher ist, dass ihr Blick vor dem Eingang zur «Art» über die kahlgeschorenen Köpfe von Eva & Adele (Bild) schweift. Das Künstlerpaar aus Berlin gehört in Basel quasi zum Inventar. Im April 1991 vollzogen die beiden im Berliner «Martin-Gropius-Bau» vor einer internationalen Kunstöffentlichkeit ihre Hochzeit bei der Eröffnung von «Metropolis», einer grossen Überblicksschau zum Stand der Gegenwartskunst. Damit starteten sie das lebenslange Kunstprojekt EVA & ADELE, die vorangegangene Biographie beider Künstlerinnen wurde komplett ausgelöscht. Sie verstehen sich seither selbst als «work of art». Leben als Kunst und Kunst als Leben. Obwohl ihr Äusseres weiblich konnotiert ist, treten sie für eine Geschlechtsidentität ein, die sich nicht durch Gesellschaft definiert, sondern frei wählbar ist. Ihr Slogan dazu: «Over the Boundaries of Gender» (Über die Grenzen der Geschlechter hinweg.
Das sind Eva & Adele.
Es könnten indessen auch Gilbert & George sein, denen sie bei einem «Art»-Rundgang begegnen. Auch sie kommen nur zu Zweit vor. Auch sie fallen auf. Sie sind ein im Londoner Eastend ansässiges Künstlerpaar, das ausschliesslich als Paar arbeitet, und das wesentlichen Einfluss auf die «Young British Artists» hat. Gilbert & George inszenieren vor allem sich, ihr Leben, ihre Gedanken und Gefühle in grossformatigen Werken. Sie verwenden dabei viele künstlerische Techniken, zu weiten Teilen in Mischform. Ihr Anliegen ist eine niedrigschwellige, einfach verständliche «Kunst für alle».
Das Fest der Kunst und Künstler ist also sozusagen bereitet. Der «rote Teppich» symbolisch ausgerollt. Und das ist so gemeint wie geschrieben: SYMBOLISCH. Denn ausgerollt ist gar nichts. Zum Mitschreiben: GAR NICHTS!
Ganz im Gegenteil. Seit gefühlt 300 Jahren präsentierte sich Basel nicht mehr mit derart unüberschaubar vielen Stolperfallen. Wo der Presslufthammer noch nicht niedergeht, wird ein Grund gesucht, um ihn dann morgen niedergehen zu lassen. Die Freie Strasse ist ein tiefbautechnisches Desaster. Beim Marktplatz gehen ein paar Zweitsemester-Archäologen einem mittelalterlichen Gemäuer auf den Grund, und nehmen dem in den Sommermonaten schwergewichtig touristisch geprägten Treiben den Fluss. Und vor dem Kunstmuseum spitzen pünktlich zum Start der «Art» ein paar Maulwürfe der «IWB» (der Industriellen Werke Basel) grossflächig die Zubringer-Wege auf. Einem mittelmässig gastfreundlichen Zeitgenossen bleibt beim Anblick des aufkommenden Besucherstroms nur eines: fremdschämen.
Man fragt sich: gibt es irgendwo im – natürlich völlig unterbesetzten(!) – Basler Baudepartement einen einsamen Menschen mit einer Agenda? Existiert im stilechten barocken Prunkbau auf dem Münsterplatz 11 wenigstens ein einziges Individuum, in dessen Wortschatz der Begriff «Planung» noch vorkommt? Es müsste sich unbedingt und schnellstens mit dem Kollegen mit der Agenda kurzschliessen. Ziel wäre, die Termine der grösseren Basler Veranstaltungen – und davon gibt es ja leider immer weniger (die Messe lässt grüssen) – rot anzustreichen, und die Bautrupps zu diesen Daten von den Strassen zu beordern. Sie könnten dann ja schon mal das Musical Theater abreissen. Das ist ein klein wenig weg vom Schuss.
Wir haben inzwischen genug davon, uns fremdschämen zu müssen.