Links-alternative Verlogenheit

Auszeit mit

Jetzt müssen wir das tatsächlich auch noch lernen: «Kulturelle Aneignung». Da wünscht man sich in diesen Tagen nicht weniger, als dass die Erderwärmung nicht gleich mit allzu viel Vehemenz auf die Funktionstüchtigkeit unserer grauen Zellen durchschlagen möge; und man hofft, von einer Überhitzung verschont zu bleiben und geistig in den Schongang schalten zu können. Und dann das.

«Kulturelle Aneignung»!

Na, dann halt. «Mit dem Begriff Kulturelle Aneignung (englisch cultural appropriation) wird die Übernahme eines Bestandteils einer Kultur von Trägern einer anderen Kultur oder Identität bezeichnet. Okay. Dann wird nun definitiv nichts damit, dass mein Enkel Luzius an der nächsten Fasnacht als «Indianer» aufläuft. «Kulturelle Aneignung» – völlig klar. Und wie um Gottes Willen soll ich meinem Musikerkollegen Kiran Krummenacher, dem einst – mit zarten drei Lenzen – adoptierten dunkelhäutigen Waisenkind aus Sri Lanka, klarmachen, dass er mit seinem Schwyzerörgeli künftig kein Mitglied der «Hudigägeler Buebe vo dr Hülfteschanz» mehr sein darf. Zu viel «Kulturelle Aneignung»… da haut es den stärksten Eskimo vom Packeis.

Kurzum: die Diskussion ist eröffnet. Angeleiert von der Berner Szenebeiz «Brasserie Lorraine». Ja ja, die «Brass» (Jargon), in der Quartiergasse 17, im hippen Lorraine-Quartier. Dass das links-alternative Kollektiv als Betreiber des Lokals sich von ein paar woken Querschlägern hat vorführen lassen, das haut dem Fass den viel besungenen Boden raus. Man versuche das einmal nachzuvollziehen: auf der Bühne geben ein paar hellhäutige Jungs Reggea zum Besten, zwei von ihnen mit Dreadlocks geschmückt, und zwei andere haben sich in leichte, bunte Kleider gehüllt – wie sie in afrikanischen Ländern getragen werden. An diesem tropenwarmen Sommerabend. Who cares?

Denkste!

Bei Halbzeit sah sich, so ist zu vernehmen, die Mannschaft des Lokals dazu veranlasst, den Gig der Berner Reggea-Truppe «Lauwarm» abzubrechen und zu beenden. Aus, fertig, finito. Kein «lauwarmer» Sommerabend mit erfrischendem karibischen Sound mehr. Ende. Was in einem Facebook-Post des Kollektivs danach diese Erklärung findet: «…während dem Konzert kamen mehrere Menschen unabhängig voneinander auf uns zu und äusserten Unwohlsein mit der Situation…». Unwohlsein mit der Situation! Meine Herren, wie absurd ist das denn?

Da hat die Handvoll links-alternativer Kellnerinnen und Kellner wohl um ihre Stammkundschaft gezittert. Muss man annehmen. Etwas anderes fällt einem zu diesem (faktischen) Rausschmiss nicht ein. Ein anderer Konzertveranstalter hätte die Motzer hochkant aus dem Tempel komplementiert – ohne Rücksicht auf «Kulturelle Aneignung».

Man stelle sich nur mal vor, der hochdekorierte Blues-Virtuose Philipp Fankhauser würde dereinst nach dem ersten Set von der Bühne gezerrt, weil er sich erdreistet, «schwarze Musik» zu spielen. Dass da noch nie jemand draufgekommen ist… immerhin zelebriert der in Thun geborene Wahl-Tessiner seine Liebe – den Blues eben – seit 1984. Wenn das keine «Kulturelle Aneignung» ist.

Mal im Ernst, es scheinen gewisse Teile unserer so diversen Gesellschaft tatsächlich nicht wirklich handfeste Probleme zu haben. Wer bei einem harmlosen Montagabend-Auftritt von ein paar Bob-Marley-affinen «Bärner Giele» mit Dreadlocks und bunten Kleidern die Hände über dem Kopf zusammenschlägt und von «Kultureller Aneignung» schwadroniert, der sollte besser zuhause bleiben und seinem Kaktus beim Wachsen zusehen. Und der Veranstalter, der sich mit ein paar Etepetete-Kunden verbrüdert, und der Band aus Gründen der «Kulturellen Aneignung» den Stecker zieht, müsste künftig genau hinschauen, wenn er «Acts» für Konzerte verpflichtet. Zumal, wenn er selber massiv gegen den Kodex der «Kulturellen Aneignung» verstösst. Sein Lokal – die «Brasserie Lorraine» – ziert nämlich ein überdimensionales Graffito (Bild oben, Pfeil), mit einer rechts unten prominent platzierten weissen Person mit – tataaa – Dreadlocks!

So viel zum Thema «die Verlogenheit der links-alternativen Weltverbesserer».

Wirklich diskussionswürdig sind nicht die Dreadlocks oder die farbigen Hemden der «Lauwarm»-Kollegen von Frontmann Dominik Plumettaz. Viel eher das fiese Verstecken in der Anonymität derer, die angeblich von «Unwohlsein» befallen wurden und den Konzert-Abbruch verschulden. Ein klarer Fall von Feigheit vor dem Feind. Marianne Binder, Nationalrätin der «Mitte», hat klare Worte für die von Unwohlsein Befallenen übrig und für die «Brass»-Verantwortlichen, die diesen letztendlich noch Begleitschutz geben: sich in der Anonymität unkenntlich zu machen, sei der Gipfel, meint sie, das zeige auch, «dass sie argumentativ völlig schwach sind».

Dass das Lorraine-Kollektiv einen Diskussionsabend zum Thema «Kulturelle Aneignung» in Aussicht stellt, ist – mit Verlaub – definitiv nur die zweitbeste Lösung. Weil a) der Schaden schon angerichtet ist, und weil b) – hoffentlich! – an jenem Abend alle Unbetroffenen (was zweifelsfrei die Mehrheit aller halbwegs intelligenten Erdenbürger ist) das nicht von Querschlägern infiltrierte Konzert der Berner Reggae-Formation «Lauwarm» irgendwo weitab von links-alternativen Lebens-Philosophien besuchen werden.

Ohne auch nur im Ansatz an «Kulturelle Aneignung» zu denken.

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