DAPHNIS, DER MUSIKALISCHE HIRTE (*)

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Die Göttin Aphrodite und der wilde Eros
Die Göttin Aphrodite und der wilde Eros

Eine hübsche Feentochter brachte einen kerngesunden Jungen zur Welt und nannte diesen Daphnis. Der Vater des Kindes war der Gott Hermes, der Postbote des Zeus. Leider erwartete den kleinen Burschen das gleiche Schicksal wie alle anderen Kinder junger Frauen, die durch einen Halbgott schwanger wurden. Die Feentochter konnte dem gesellschaftlichen Druck und dem Gefühl eine Sünde begangen zu haben, nicht standhalten und so wurde der Junge von seiner Mutter mit grossem Kummer im Wald zurückgelassen. Der hübsche Junge wurde von Hirten in der Umgebung aufgenommen und verwöhnt, als wäre er ihr leiblicher Sohn. Die Hirten hatten den kleinen Daphnis während des Weidens immer dabei, und als er etwas heranwuchs, konnte er ganz alleine auf die Schaf- und Ziegenherden aufpassen. Während dieser Zeit brachte ihm Artemis hie und da das Jagen im Wald bei. Der Hirtengott Pan brachte ihm das Spielen der Flöte, der Gott Apollon, seine Tanten und die anderen Feen das Spiel auf der Lyra und die Feinheiten des Dichtens bei.

          Der Hirte Daphnis nahm gerne, neben seiner aus Schafen und Ziegen bestehenden Herde, auch noch die Kuhherde des Sonnengottes Helyos mit zur Weide, weil die Sonne, seine liebste Göttin war und die einzige, die er nie verlassen hatte. Er spielte mit ihren Strahlen und formte mit ihnen seine Seele und sein Umfeld. Wenn er seine Herden weiden liess und mit der vom Tageslicht ausgelösten Hochstimmung auf seiner Rohrflöte spielte oder seine Gedichte mit seiner Flöte, dem Geschenk des Gottes Pan, zu Liedern formte, wurden sogar die wilden Tiere zahm und versammelten sich um ihn herum. Immer mehr Geschöpfe lauschten andächtig seinen Liedern. Mit seiner Schönheit und der Leidenschaft seiner Gedichte und Lieder eroberte er auch immer mehr die Herzen der jungen Frauen und Meerjungfrauen. Allerdings kam er den Jungfrauen, die sein Herz erobern wollten, nie zu nah, denn der Gott Artemis hatte ihm die Leidenschaft zur Jungfräulichkeit übertragen, als wäre sein einziges Lebensziel, die Unersättlichkeit der Natur und des Tageslichts in seinen Gedichten und Liedern wiederzugeben. Aus diesem Grund verbrachte er seine Zeit grösstenteils mit seinen Herden und seiner Flöte. Jedoch dauerte sein Glück nicht lange.

Daphnis mit der Feentochter Lyca

Daphnis mit der Feentochter Lyca

Die Liebesgöttin Aphrodite ärgerte sich nämlich darüber, dass er durch Artemis’ Einfluss die Frauen von sich fernhielt. Vor allem aber ärgerte sie sich, weil er nicht einmal sie, die schönste des Universums, die Liebesgöttin, nicht wahrnahm. Dies kränkte sie, so dass sich ihre Eifersucht und Wut täglich steigerten. Schliesslich liess sie Eros einen Pfeil in Daphnis’ naives Dichterherz stossen, damit er sich bis über beide Ohren in die Feentochter Lyca verliebte. Schon bald verbrachten Lyca und Daphnis liebevolle Tage miteinander. Daphnis war so glücklich, dass er Lyca schwor, sich niemals in eine andere zu verlieben. Er schwor sogar auf den Höllen-Fluss Stiks!…

        Bis über beide Ohren verliebt, dichtete und komponierte Daphnis neue Gedichte und leidenschaftliche Lieder für seine Geliebte Lyca. Doch nach einiger Zeit liess Aphrodite neue Liebespfeile in Daphnis’ Herz stossen, damit er sich in eine andere Feentochter verliebte – und zwar die schärfsten Pfeile! So kam es, dass sich Daphnis immer mehr von seiner Geliebten Lyca entfernte und sich einer anderen Feentochter zuwandte. Lyca erfuhr davon und blendete daraufhin Daphnis’ Augen, weil dieser sein Versprechen gebrochen hatte!..

Die Göttin Aphrodite und der wilde Eros

Die Göttin Aphrodite und der wilde Eros, der die Herzen mit scharfen Liebespfeilen beschiesst.

        Die Trauer und die Niedergeschlagenheit darüber, dass er einerseits das Tageslicht und seine Herden nicht mehr sehen konnte und dass er andererseits sein Versprechen gebrochen hatte, liessen ihn neue, dramatische Gedichte und rührende Lieder verfassen. Seine Gedichte verbreiteten sich von Mund zu Mund. Eines Tages, als er das Leid, seine Geliebte und seine Augen verloren zu haben, nicht mehr ertragen mochte, kletterte er auf die Spitze eines nahen Berges und liess sich in die Tiefe fallen!..

        Nach seinem Tod verfassten viele Dichter, speziell Teokritos und Vergillius, Gedichte über Daphnis, der mit seiner Flöte sogar Tierherden bezaubert hatte. Diese Gedichte über Hirten und die Natur benannten sie nach ihrem Erfinder, Daphnis. Den Tag, an dem sich Daphnis das Leben nahm, schilderte Vergillius wie folgt in seinem Gedicht:

      “An jenen Trauertagen ging kein einziger Hirte,

      Mit seinen Bullen an die Flüsse!

      (…) Ach du Daphnis, sogar die Löwen in Afrika

      Seufzten an diesem Tag über deinen Tod!”

        Auch Hermes trauerte sehr über den frühen Tod seines Sohnes und verwandelte Daphnis in einen leuchtenden Stern, damit er ihn immer sehen konnte, wenn ihm danach war. Danach liess er am Felsen nahe der Absturzstelle eine Quelle anbringen, damit diese im Andenken an seinen Sohn immer fliessen und dabei seine Gedichte und Lieder summen würde. .

        Während tausenden von Jahren tranken sämtliche sizilianischen Naturliebhaber und Tierherden nach Herzenslust aus diesem Hirtenbrunnen. Auch Dichter und Künstler löschten ihren Durst an diesem Brunnen und sassen lange daneben um sich auszuruhen. Die Worte, die ihnen das fliessende Wasser mitgab, fanden in den Gedichte

n, Schnitzereien und Bildern ihre Gestalt. .(*)

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Yasar Atan

Deutsche Übersetzung: S. Sezer

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