Über grauen Wolken

Auszeit mit

«Über den Wolken», lässt uns der deutsche Liedermacher Reinhard Mey wissen, «muss die Freiheit wohl grenzenlos sein.» Und weiter: «Alle Sorgen und Ängste, sagt man, blieben darunter verborgen, und dann, würde was uns gross und wichtig erscheint, plötzlich nichtig und klein.»

Hier spiegelt sich Meys Leidenschaft zur Fliegerei wider – wie übrigens auch in den Texten von «Ikarus» oder «Lilienthals Traum». Mey weiss, wovon er spricht. Er erwarb schon 1973 die Privatpilotenlizenz für Motorflugzeuge (PPL A), die er drei Jahre später um die Instrumentenflugberechtigung erweiterte. 1982 schaffte er auch die Privatpilotenlizenz für Hubschrauber mit Kolben- und Turbinentriebwerken (PPL H). Und als Schüler des 1986 bei einem Flugzeugabsturz umgekommenen ehemaligen Kunstflug-Weltmeisters Manfred Strössenreuther erhielt er 1984 schliesslich die Berechtigung zum Kunstflug mit Motorflugzeugen.

Reinhard Mey verriet auch einmal, dass ihn die Fliegerei glücklich mache. Davon scheint das Personal der hochgelobten Schweizer National-Airline Swiss meilenweit entfernt zu sein – vom Glücklichsein. In seiner Fliegerhymne singt Mey: «Ich seh ihr noch lange nach die dunklen Wolken erklimmen…» In diesen stecken die Swiss-Mitarbeitenden derzeit ganz offensichtlich fest. Einer Mitarbeiterbefragung zur Befindlichkeit vom März dieses Jahres ist zu entnehmen, dass insbesondere das Kabinenpersonal «übermüdet, erschöpft, enttäuscht, unzufrieden und demotiviert» sei. Das wirft nicht das beste Licht auf die Lufthansa-Tochter. Zumal ähnlich schlechte Werte auch beim Cockpitpersonal, beim Bodenpersonal, in der Technik und selbst beim fliegerärztlichen Dienst ermittelt worden sind. Und das Dickste kommt erst: die Stimmung ist im Vergleich zu einer ähnlichen Umfrage vom Juli 2021 buchstäblich in den Keller gerasselt!

Damals hielten sich viele eingedenk der Pandemie-Restriktionen mit ihrem Urteil noch zurück. Das hat sich geändert. Die Unzufriedenheit fokussiert sich schwerpunktmässig auf die Entscheide des Managements. In der Zusammenfassung der Umfrage heisst es dazu: «Die Kommunikation, bisher eher als Stärke wahrgenommen, wird vor allem in Bezug auf das Management-Board zunehmend kritisch gesehen.»

Wen wundert´s?

Dieter Vranckx, der Obergockel der Schweizer Fluggesellschaft von Lufthansas Gnaden, hat sich seit seinem Aufstieg zum Swiss-CEO am 1. Januar 2021 bezüglich Personalführung weiss Gott noch nicht mit Ruhm bekleckert. Davon können die rund 480 Kabinenangestellten ein Lied singen, die sich während der Pandemie unvermittelt auf der Strasse wiederfanden. Oder jene, die sich auf die von Lufthansa-Chef Carsten Spohr im März ausgerufene, weltweite sogenannte «Dankeschön-Zahlung» für ihren vorbildlichen Einsatz in der Corona-Krise gefreut haben. Wenige Stunden nach Spohrs Versprechen dementierte die Swiss-Leitung nämlich den «Geldsegen» – und erklärte den Wortbruch damit, dass nie die Meinung war, diesen Bonus auch in der Schweiz auszuzahlen. Das ist nicht nur lausig, das ist oberlausig!

Man fragt sich zurecht, wie ein Unternehmen, das seine Mitarbeitenden nicht wertschätzt, zu ebendiesen dringend benötigten MitarbeiterInnen kommen will, die es händeringend derzeit zu rekrutieren versucht. So herrscht nicht nur bei Gewerkschaften und Personalverbänden im Augenblick das Gefühl vor, dass einige Leute der Swiss-Führung mehr auf ihre Karriere schauen als auf das Wohlergehen der Airline.

«Was beim CEO ankommt, stammt aus den unteren Leitungsetagen aber nicht von der Personalbasis», moniert die Chefin des Kabinenpersonal-Verbands «Kapers», Sandrine Nikolic-Fuss. «Dabei waren die Alarmglocken laut genug, und die Atmosphäre ist rebellisch.» Womit eine Führungskrise enden kann, das ist uns seit dem Niedergang der Swissair zum Jahrtausendwechsel nur allzu präsent. Es mutet vor diesem Hintergrund deshalb beinahe abenteuerlich an, dass die obersten «Flugkapitäne» in einem Versuch der Flucht nach vorn bereits am vergangenen Wochenende angekündigt haben, dass die Swiss im Sommer wegen Personalengpässen Flüge annullieren werde. Ein Pilot, der für diese Strategie nicht das geringste Verständnis hat, meint dazu empört: «Man muss Flüge streichen, mit denen man eigentlich Geld verdienen könnte!»

Da hilft es denkbar wenig, dass sich der Swiss-Chef (mit Swissair-Vergangenheit, notabene), Dieter Vranckx schmallippig für den schlechten Service seines «Ladens» entschuldigt und kleinlaut zugibt, dass seine Fluggesellschaft ihren Premium-Anspruch vergangenes Jahr «nicht immer» habe erfüllen können. Ob der Passagier, der eben von der Annullierung seines Sommer-Ferienflugs erfahren hat, mit dieser Entschuldigung etwas anfangen kann?

Ihm werden wohl gerade Reinhard Meys Zeilen durch den Kopf gehen:

«Dann ist alles still, ich geh, Regen durchdringt meine Jacke. Irgendjemand kocht Kaffee in der Luftaufsichtsbaracke. In den Pfützen schwimmt Benzin, schillernd wie ein Regenbogen, Wolken spiegeln sich darin, ich wär gern mitgeflogen.»

Möglicherweise ist für ihn in Zukunft die Swiss dafür keine Option mehr.

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