Herr und Frau Zog

Auszeit mit

Neulich an der Tramhaltestelle:

«Anna, morgen müssen wir noch zum Sehtest», warnt die Mutter ihre zirka 5-Jährige beiläufig vor. Worauf das Kindergarten-Mädchen natürlich umgehend wissen will: «Sag Mama, welches Badekleid soll ich dann mitnehmen?»

Ich schmunzle unauffällig und staune mal wieder über die Kinder-Logik. Naja, zum See-Test geht’s mit der Badehose. Klaro.

Die Kleine hat mich mit ihrem Analogieschluss inspiriert. Tiefenentspannt krame ich beim Warten auf das Tram im Fundus kindersprachlicher Kreationen. Und – genau… da war doch mal was im Zusammenhang mit dem öffentlichen Verkehr! Die Folgerung nämlich, dass es neben der  Essbébé (was nachvollziehbar eine Ableitung von «SBB» ist) auch eine Trinkbébé geben müsste. Kinder sind so ausgleichend gerecht. Und dazu grosszügig. Da wird schon mal ein Mehrschweinchen für ein Wenigerschweinchen geopfert. Das nennt die Linguistik dann semantische Kreativität. Weil es um die Bedeutung, den Inhalt des kreativ veränderten Wortes geht.

Die diesbezügliche Kreativität von Kids kann nicht selten zu einer echten Herausforderungen werden.

Wie bitte erkläre ich meinem Knopf die Fehldeutung einer knabenbringenden Weihnachtszeit? Das Klopfsteinpflaster biege ich gerade noch hin – beim Wyybersturm, der den Satellitenfänger kaputt macht, wird es schon wieder schwieriger. Eigentlich gibt es ja auch gar nichts zu erklären. Wir verstehen in aller Regel recht gut, was uns der Nachwuchs sagen möchte. Oder wären sie nicht auf die «gnadenbringende» Weihnachtszeit gekommen? Hätten sie das Kopfsteinpflaster nicht gleich entdeckt, oder verstanden, dass der Wirbelsturm den Satellitenempfänger beschädigt hat? Die frühen Kinderjahre bringen in aller Regel einiges an Highlights zusammen fürs Panoptikum der sprachlichen Kuriositäten.

Wie war das doch noch mit der «Gehirnverschüttung» nach dem fatalen Sturz, oder mit der «Kotzprobe» im Restaurant? Und schliesslich weiss das ganze Quartier, dass die Meiers nach «Südpaprika» ausgewandert sind.

Noch besser kommt es im Zusammenhang mit der Geschlechter-Gerechtigkeit. Während wir uns damit abmühen, dem derzeit allgegenwärtigen «Gendern» einen Sinn zu entlocken, vergessen wir, dass uns unsere Kinder das längst ohne Zwang vorgemacht haben. Wir erinnern uns an die letzte Grillparty mit unseren Freunden, den Herzogs. Unser Jüngster empfing die beiden ganz locker mit «griezi Herr Zog und griezi Frau Zog»… noch Fragen?

Ob «Herr und Frau Zog» mit dem Herrcedes hergefahren waren, ist nicht überliefert. Überliefert ist hingegen, dass ihre Tochter sich zur Äuglingsschwester ausbilden lässt. Was – ohne Witz – eine sprachliche Deglutination genannt wird, die «falsche» Abtrennung eines Lautes.

Sachen gibt’s…

Keine Frage, kindliche Wortschöpfungen sind für uns Erwachsene lustig. Aber nicht nur das. An Fehlern und Eigenbildungen lässt sich beobachten, wie sich die Sprechwerkzeuge der Kinder systematisch entwickeln und wie raffiniert Kinder die Muttersprache lernen. Mit einem nicht zu unterschätzenden Unterhaltungswert für uns Mütter und Väter… sei es an der Tramhaltestelle oder sonst wo.

Da fällt mir ein – mein Verleger erwartet von mir noch ein paar Zeilen über die aktuelle Schaffensperiode von Herzog & de Meuron – oder hatte er vom «Herzog von Delémont» gesprochen…?

…sicher bin ich mir, dass er Herr Zog meinte, und bestimmt nicht Frau Zog.

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