„Gäll, kennsch mi nit?“

Auf der Fahrt mit dem ÖV – dem 6er-Drämmli (nämmli…) – zur Arbeit in die Innenstadt haben mein Freund Luzius (ein UBS-Banker) und ich vor gut einem Jahr die Bekanntschaft eines interessanten Mannes gemacht. Ein „Zugezogener“, wie wir „Einheimischen“ etwas despektierlich zu sagen pflegen. Sein Berner Dialekt vermittelt so etwas wie aristokratisch affektierte „Breite“ – ist aber durchaus angenehm anzuhören. Auch wenn er im Gespräch bedächtig wirkt, mit Trägheit wäre sein Kommunikations-Tempo auf jeden Fall schlecht und unzutreffend beschrieben.

Sei´s drum – unter seiner weissen FFP-2-Maske hervor gelang es ihm eigentlich immer, substanzielle Beiträge zu unseren Diskussionen zu leisten. Dabei kristallisierte sich tatsächlich je länger je öfter seine bemerkenswerte Affinität zu allem Baslerischen heraus. Bisweilen beschämte er uns mit seinem Insider-Wissen – auch wenn er ehrlicherweise immer darauf verwies, dieses aus „einschlägiger Literatur“ zu schöpfen. Wenn er uns bei offenen oder ungeklärten Diskussions-Punkten mit einem, durch seine FFP-2-Maske dumpf vernehmbaren „ig gang de das hurti no ga nache-luege…“ drohte, war klar, dass er des Pudels Kern zweifellos finden würde. Die Basler Pharma, ihr Standing in der politischen Stadtbasler Landschaft, die Versäumnisse der Messe und ihrer Manager sowie die daraus resultierenden Konsequenzen auf die „Basel World“ (ehemals Uhren- und Schmuck-Messe) oder ebenderen Untergang als Menetekel für die „Art Basel“, der fatale Krebsgang des FC Basel – Luk, so der Name unserer „maskierten“ ÖV-Bekanntschaft, war in jedem Thema up to date und nirgends um ein „Apropos“ verlegen.

Innerhalb von no time war Luk so zu einem „von uns“ geworden. Zum Berner Kumpel unter der schlohweissen FFP-2-Maske sozusagen. Zwar beschränkte sich unser Kontakt – Corona geschuldet, natürlich – auf unsere „Zusammenkünfte“ in der ÖV-Fahrgemeinschaft. Wir stellten aber immer wieder ein Bier (ohne Maske) im Kunsthalle-Garten in Aussicht, sollte sich das Virus irgendwann mal wieder dorthin zurückgezogen haben, woher es damals – vor gut zwei Jahren – gekommen war.

Als Luk´s Arbeitgeber im Spätherbst für alle Mitarbeitenden Home Office anordnete, tauchte er nur noch sporadisch morgens um 7 im 6er-Drämmli auf. Wir sollten uns nicht zu schnell von seinem dumpf durch die FFP-2-Maske vernehmbaren Berner Dialekt entwöhnen, meinte er dann aber jeweils trocken.

Ortswechsel. Allschwiler Fasnacht – vor ein paar Tagen. Mit meinem ÖV-Buddy Luzius verbindet mich auch die Tradition, am Allschwiler Fasnachts-Sonntag um 14 Uhr zu einem Glas Wein im „Rössli“ am Dorfplatz zusammen-zukommen. Gesagt, getan. Larven, so weit das Auge reichte. Masken – Fehlanzeige. Fasnächtliche Normalität und eine Menge fröhlich feiernder Menschen. Mittendrin der wunderschöne „Waggis“, der direkt auf uns beide zusteuert – blaue Bluse, weisse Hose, rote Scherpe und ein „Kopf“ der besonderen Güte. Gelber Bast um ein von einer gigantischen Nase dominiertes Gesicht. Prächtig!

Unvermittelt steht er vor mir. „Gäll, kennsch mi nit?“, dröhnt es mir in leicht gekünsteltem Schwellheimer Dialekt (Schwellheim = Synonym für Allschwil) entgegen. Ich zögere. Überlege. Vergegenwärtige mir im Kleinhirn noch einmal den Sound seiner Stimme… Kenn ich in der Tat nicht. Noch eine gute Weile lässt er mich rätseln – wiegt seine die Sonne reflektierenden Bast-Haare behäbig hin und her. Dann lüftet er das Geheimnis, hebt die Larve an… seine braunen Augen glänzen, über dem breit grinsenden Mund ist der leicht graue Schnauzbart nach links und nach rechts wie ein Zapfenzieher gezwirbelt. Habe ich diesen Typen schon irgendwann mal gesehen? Ich bin mir absolut sicher: NEIN!

In meiner Verzweiflung sehe ich Luzius fragend an. Er signalisiert mir ein stummes „nein, kenn ich auch nicht“. Unsere Unbeholfenheit sichtlich geniessend, baut sich der Waggis schweigend vor uns auf. Er greift in eine Hosentasche, zieht daraus eine FFP-2-Maske hervor, streift sich diese über Nase und Mund… tatsächlich: es ist Luk! Mit montierter Maske unverkenn- und

unverwechsel-bar. Die Situationskomik lässt uns minutenlang schallend lachen…

Was bitte sind das für Aussichten? Irgendwie lässt uns Corona fragend zurück: „Gäll kennsch mi nit?“

peter@dzytig.ch

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