Kräuter, die ohne Pestizide wachsen – erste Indoor-Farm in der Ostschweiz

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kraeuter-hightech-christiangeri Dzytig
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Christian Gerig betreibt seit Herbst 2021 im Sittertobel in St. Gallen zusammen mit seinem sechsköpfi

gen Team die erste vertikale Indoor-Farm der Ostschweiz. Für den 44-jährigen HSG-Absolventen ist die Lokal365 AG bereits die dritte Firma nach unternehmerischen Erfahrungen in China und Afghanistan.


Nicht in Beeten und in Erde, sondern mit wenig Wasser und einer Nährstofflösung versorgt, wachsen die Kräuter an den Regalen empor. Basilikum, Salbei und Pfefferminze gedeihen statt an Tageslicht unter pinkfarbenem LED-Licht. Der Kontrast der grünen Kräuter im pinken Schein mutet futuristisch an. Gerig sieht im Indoor-Farming denn auch ein Stück Zukunft der Landwirtschaft: «Im Vergleich zur traditionellen Landwirtschaft setzen wir viel weniger Wasser und Fläche ein und verzichten auf Pestizide. Zudem können wir die Region das ganze Jahr mit Kräutern versorgen.» Auch der Strom – übrigens Ökostrom – stammt aus der Region. «Klar ist es auch ein Zeichen gegen den Klimawandel. Doch missionieren ist nicht meine Sache. Ich mache mein Ding und freue mich, wenn ich andere damit inspirieren kann.» 

Wie kam er darauf, Kräuter anzupflanzen? Es habe ihn gereizt, mit einem Rohstoff zu arbeiten, der das ganze Jahr verfügbar ist. Das war bereits in seiner früheren Firma der Fall, mit der er in China einen historischen Bambuswald bewirtschaftete und aus den Blättern Extrakte herstellte. Beim vertikalen Indoor-Farming schätzt der Unternehmer, dass er keine Pionierrolle einnimmt: «Ich wollte auf keinen Fall etwas machen, bei dem ich der Erste bin. Für die Indoor-Farmen gibt es bereits Systeme, auf denen wir aufbauen können.» Sei es das Destillieren von Kräutern, das er sich via YouTube-Videos beigebracht hat oder die Einrichtung der vertikalen Kräuterregale, für die er ein Team von ZipGrow, dem grössten Vertreiber der Vertikalen Landwirtschaft, aus Kanada einfliegen liess: Christian Gerig ist ein Autodidakt. Das war bereits seine Haltung, nachdem er sein Studium der VWL an der HSG abgeschlossen hat: «Jetzt lerne ich aus der Praxis für die Praxis.»

Der 44-Jährige hat Volkswirtschaftslehre mit Vertiefung «Management sozialer Prozesse» studiert. Gerne erinnert er sich noch an die Soziologie-Vorlesungen im Kulturfach, besonders an diejenigen des emeritierten Professors Peter Gross. Theorien wie der Sozialkonstruktivismus – also wie wir Menschen unsere soziale Wirklichkeit erschaffen – oder die Idee der Multioptionsgesellschaft hätten ihm eine Brille mitgegeben, durch die er immer noch auf die Welt blickt. Grundsätzlich gehörte für ihn Studieren aber eher zum Pflichtprogramm. «Das Studium dauert vier bis fünf Jahre, danach geht das Leben weiter.» Neben Fachwissen wie Buchhaltung oder soziologischen Theorien habe er im Studium vor allem Selbstorganisation und Disziplin gelernt.

Während andere Studierende im Zwischenjahr in San Diego ihr Englisch aufbessern oder ein Praktikum in einem Start-up absolvieren, gründete Christian Gerig nach dem Grundstudium im Jahr 2000 seine erste eigene Firma. Und das nicht irgendwo: Seine Reise führte ihn nach Afghanistan. Zusammen mit einem Freund organisierte er den Transport chirurgischer Instrumente für Amputationen ins zentralasiatische Land, in dem damals Krieg herrschte. Unterstützt wurde Christian Gerig von seinem Onkel, einem Arzt, der bereits während des Afghanistan Krieges mit Russland humanitäre Hilfe geleistet hat. «Ich wollte etwas Extremes machen», so Gerig, der ursprünglich aus dem Wallis stammt. «Ich wuchs zwischen den Bergen auf und wollte an die Lebensgrenze gehen.» Auch auf seiner humanitären Mission für Afghanistan ging Gerig autodidaktisch vor: Er stieg in den Nachtzug nach Paris, wo er in der inoffiziellen Botschaft Afghanistans drei Tage und Nächte ausharrte, um den afghanischen Aussenminister abzupassen. Von diesem erhielt Christian Gerig dann tatsächlich eine Bewilligung, um ins Land einzureisen und die Instrumente in die Lazarette an den Frontlinien zu transportieren. Gerig ist dann während fast zehn Jahren immer wieder nach Afghanistan gereist. 

Eine der zahlreichen Lektionen, die er in Afghanistan gelernt hat: «Du überlebst nur, wenn du die Situation akzeptierst und auf deine Stärken setzt. Wenn in der Nachbarschaft Bomben fallen, darfst du das Haus nicht verlassen – du hast gar keine Wahl.» Diese Einstellung verfolgt er auch hier, wo es nicht gerade um Leben und Tod geht: Einfach mal anfangen. Die Rahmenbedingungen annehmen und mit vorhandenen Ressourcen nach fruchtbarem Boden suchen. 

Nach je zehn Jahren in Afghanistan und China hat Gerig nun eine Hightech-Kräuterfirma in St.Gallen aufgebaut. Hierzubleiben war ein bewusster Entscheid: «Ich hatte keine Lust mehr zu reisen.» Bei allem, was er als Unternehmer angeht, gilt: «Intuition ist für mich und meine Entscheide zentral, weil ich mich oft auf einem völlig neuen Feld bewege.» Für ihn zeichnen Kreativität und Interdisziplinarität wahre Unternehmerinnen und Unternehmer aus. An staatliche Startup-Unterstützung glaubt Gerig aber nicht: «Was es braucht, ist Mut zu scheitern. Die Gesellschaft sollte Fehlversuche positiv bewerten. Wer wagt zu irren, hilft auch zu entdecken.»

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