Frösteln im Dunkeln

Auszeit mit

Jetzt haben wir es Schwarz auf Weiss, sozusagen wissenschaftlich erhärtet und statistisch zementiert: wir sind eine Nation von Warmduschern. Das geht verbindlich aus einer repräsentativen Umfrage hervor, die von einer angemessenen Anzahl von Schweizerinnen und Schweizern wissen wollte «Worauf könnten Sie verzichten, wenn Sie zum Energiesparen gezwungen wären?» Und siehe da – lediglich 10 Prozent der Befragten würden sich unter die Brause stellen, wenn diese nur kaltes Wasser ausspucken würde. Möglicherweise sind das die paar Verrückten auf den Rängen des St.Galler «Kybun Parks», die die Schweizer Fussball-Nationalmannschaft im Spiel gegen Tschechien (2:1) bei knapp fünf Grad Celsius mit nackten Oberkörpern antrieben. Eher unwahrscheinlich, dass die Ignoranten vom FIFA-Hauptsitz auf dem Dolder, die Ende Jahr um die Scheichs von Katar scharwänzeln werden, sich diesbezüglich mit den Hartgesottenen aus der Südkurve solidarisierten. Wenn – dann gewiss nicht freiwillig. Höchstenfalls im Sinne Friedrich Schillers: «Der Not gehorchend, nicht dem eigenen Triebe» (“Die Braut von Messina”, I. Aufzug, 1. Szene, Isabella).

Auch in den 20 Prozent derer, die dem Energiesparen das Staubsaugen opferten, dürften sich keine Fussball-Funktionäre des Weltverbandes finden. Denn: Das Staubsaugen haben sie längst ihren Bediensteten aus aller Welt anheimgegeben. Ebenso wie die Finissage des Gewaschenen im Wäschetrockner. Auf diesen würden übrigens sage und schreibe 63 Prozent von Herr und Frau Schweizer im Energienotfall verzichten. Der Gendergap von 68 Prozent verzichtender Frauen gegenüber nur 57 Prozent der Männer rührt vermutlich daher, dass auch im Zeitalter der (Haus-)Arbeitsteilung noch immer weit weniger Männer als Frauen mit der «Wäscherei» vertraut und befasst sind. Sei’s drum… der Tumbler – und ein allfälliges «Trockenlegen» von diesem – führt die Liste der Energiespar-Verzichte in besagter Studie noch vor dem Herunterfahren der Wohnungstemperatur auf 19 Grad an. Arithmetisch schlägt ein stillgelegter Wäschetrockner folgendermassen zu Buche: der durchschnittliche Stromverbrauch eines zehn Jahre alten Tumblers liegt bei rund 4,1 Kilowattstunden pro Trockengang. Bei 160 solchen im Jahr und dem durchschnittlichen Schweizer Strompreis von 27 Rappen pro Kilowattstunde spart man mit einem Verzicht fast 180 Franken, pro Jahr wohlverstanden.

Im hinteren Teil der Spar-Hitparade figurieren übrigens das Fernsehen und das Musikhören. Logisch eigentlich. Wenn es schon nichts mehr zu Tumblern und zu Staubsaugen gibt. Die neu gewonnene Freizeit muss ja irgendwie gestaltet sein. Ein fetziger Rock’n Roll aus dem Lautsprecher des DAB-Geräts animiert ja immerhin zu einem ausgelassenen Hüftschüttler. Was wiederum das Blut etwas in Wallung bringt und die auf den Gefrierpunkt runtergedrehte Wohnungstemperatur erträglicher macht.

Wir wollen uns das Horrorszenario gar nicht vorstellen. Von zwei pandemischen Wintern gebeutelt stolpern wir ungebremst in ein schwarzes Energieloch. Politiker und selbsternannte Seher malen seit Tagen den Teufel an die Wand. Sie haben artig gelernt: in einem Klima der Angst lassen sich allfällige Massnahmen mit Leichtigkeit durchsetzen. Anders ist es kaum zu erklären, dass die Hälfte der Bevölkerung es – jetzt schon! – begrüssen würde, dass der Bundesrat Sparmassnahmen für obligatorisch erklärt, noch bevor überhaupt eine Mangellage eingetreten ist. Optimisten nennen das «proaktiv», Pessimisten und Kritiker wittern wieder einmal «Hysterie». Die Realität liegt wohl – wie eigentlich immer in solchen Fällen – in etwa in der Mitte. Letztlich lässt sich mit fehlenden Ressourcen immer wieder gut für steigende Preise argumentieren. Die Verbraucher pflegen schliesslich die Kröten zu schlucken. Mehr als ein empörtes «unverschämt» ist da in der Regel nicht zu hören…

Es wird auch keine Proteste geben, wenn die grossen Einzelhandelsunternehmen ab Herbst die Temperatur in ihren Läden und Einkaufszentren auf 19 Grad begrenzen werden. Bereits Anfang Monat hatten Migros und Coop angekündigt, auf Weihnachtsbeleuchtung verzichten zu wollen und sich mit unbeleuchteten Dekorationen zu begnügen. Und jetzt setzt man noch einen drauf: «Wir reduzieren die Beleuchtung der Logos, wo immer es möglich ist», lässt ein Migros-Sprecher verlauten. Sein Arbeitgeber prüft zudem die Möglichkeit, die Temperatur in den Büros, Klubschul-Lokalen und Fitnesscentern zu senken. Von Manor wiederum ist zu hören, dass die Schaufensterbeleuchtung eine Stunde nach Ladenschluss ausgeschaltet wird. Die Gruppe mit 59 Filialen in der ganzen Schweiz hatte zu einem früheren Zeitpunkt bereits angekündigt, auf die Weihnachtsbeleuchtung im Freien zu verzichten.

Was das heisst?

Wir machen uns auf kollektives Frösteln im Dunkeln gefasst. Es sei denn, wir stehen gerade beim Kochen am Herd. Darauf ist nämlich, glaubt man der oben erwähnten Umfrage, nur eine kleinste Minderheit von sechs Prozent zu verzichten bereit. Und das sind vermutlich gerade wieder die paar Funktionäre der FIFA, die vor, während und nach der Fussball-Weltmeisterschaft in Katar mit Sicherheit vom einen zum nächsten opulenten Dinner eingeladen werden. Sie werden wohl auch ohne ihre Handys auskommen. Dafür haben sie den vom Wüstenstaat zur Verfügung gestellten «Informationsdienst», der sie mit genau den Meldungen versorgt, die Herr Infantino und seine Kohorten hören wollen und dürfen. Die «Schweizers» ihrerseits möchten das nicht – auf ihre Handys verzichten. Für 94 Prozent von ihnen ist das im Energiespar-Sinne keine Option.

Verständlich. Ein Mobiltelefon mit heiss gelaufenem Akku strahlt doch immerhin ein klein wenig Wärme ab. Was in einem auf 19 Grad runtergekühlten Raum durchaus von Belang sein kann…

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