Der Ruf nach einem “Deckel”

Auszeit mit

Es war unüberhörbar zu vernehmen – das kollektive Aufatmen aller, die sich politisch nur schon im Millimeterbreich links von den Rechtspopulisten positionieren. Am Ende war im französischen Präsidentschafts-Rennen der Vorsprung von Amtsinhaber Emmanuel Macron doch noch deutlich grösser, als die Pessimisten unter den Auguren das befürchtet hatten. Ob nun die Wahl des «kleineren Übels» am Ursprung der Entscheidung gestanden hat, ist nicht mehr von Relevanz. Vielleicht spülte ihm, dem das Image, ein «Präsident der Reichen» zu sein, anhaftet wie eine lästige Klette, sein dezidierter Kommentar zur Entschädigung von Stellantis-Chef Carlos Tavares die entscheidenden Stimmen aufs Konto. Mag sein. Jedenfalls fand er klare Worte für die unanständigen 66 Millionen Euro, die der portugiesische Herrscher über 16 Automarken (wie Peugeot, Fiat oder Chrysler) im vergangenen Jahr kassierte. Als «schockierend und exzessiv» bezeichnete er Tavares´ Lohn, der kurz vor Ostern und vor allem kurz vor dem zweiten und entscheidenden Wahlgang in einem Wahlkampf publik geworden war, bei dem der Verlust der Kaufkraft eines der Schlüsselthemen war.

Macron sah sich gezwungen, dezidiert zu reagieren. Seine Forderung an die zuständige EU-Kommission, dem Vergütungs-Wahnsinn in den Management-Etagen mit einer «Deckelung» der Höchstbeträge Einhalt zu gebieten, war dem Volk aus der Seele gesprochen. «Es geht nicht an, dass die Leute Kaufkraftprobleme haben und zugleich diese Summen sehen», mahnte er an.

Unter der angedachten «Deckelung», die politisch noch lange nicht nur Befürworter hat, ist vorerst auch Ex-Zalando-Chef Rubin Ritter weggeschlüpft. Sein Abgang beim Online-Modehändler wurde ihm im vergangenen Jahr mit einer Gesamtentschädigung von sagenhaften 89 Millionen Euro vergoldet. Dass er seine Karriere jener seiner Frau, einer Richterin, opferte, brachte ihn allerdings gleichzeitig um auch nicht schlechte 93 Millionen aus verwirkten Optionen eines Anreizprogramms, das 2018 ins Leben gerufen wurde. Diesen Preis war Ritter für seine Frau jedoch bereit zu zahlen…

Übrigens: Mit einem Jahressalär von 66 Millionen Euro schafft man es in den USA schon lange nicht mehr in die Top Ten der Grösstverdiener. Dort haben die Chefs, und insbesondere die Tech-Galionsfiguren, die 100-Millionen-Marke längst hinter sich gelassen. Alex Karp etwa, Kapitän des Softwareriesen «Palantir», bekommt 370 Millionen Dollar, Apple-Chef Tim Cook kommt auf 265 Millionen Dollar. 388 Millionen Dollar gibt´s für Eric Wu, den Chef des Onlineimmobilienverkäufers «Opendoor», und 222 Millionen Dollar für Chad Richison, den Gründer des Online-Lohnabrechners «Paycom». Von einer «Deckelung» spricht in den USA jedoch niemand…

Die Beispiele von Tavares und Ritter, die übrigens problemlos noch ergänzt werden könnten, weisen auf einen Trend hin: sie lösen die einstigen Symbolfiguren der abgehobenen Manager-Kaste, die früheren Lieblings-Feindbilder aus der Banken- und Pharma-Welt ab. Zwar erhielten die Chefs von Nestlé, Roche, Novartis und UBS auch 2021 noch je eine Gesamtvergütung von 11 bis 12 Millionen Franken. Das ist noch immer ordentlich viel, aber weit weg von den neuesten Rekordwerten. Oder anders gesagt: Mark Schneider, Severin Schwan, Vasant Narasimhan und Ralph Hamers können nicht mehr mithalten – weder mit den Techkönigen aus den USA, noch mit den europäischen Spitzeverdienern, und nicht einmal mehr mit den Schweizer Start-up-Gründern.

Da ist etwa die fünfköpfige Crew der Schweizer Schuhfirma «On», deren Gang an die New Yorker Börse im vergangenen Herbst nebst dem Umstand, dass dabei Investor Roger Federer noch etwas reicher wurde, zwei konkrete Folgen hatte für die drei Gründer David Allemann, Oliver Bernhard und Caspar Coppetti sowie die zwei Co-Chefs Marc Maurer und Martin Hoffmann: sie wurden erstens zu Multimillionären, und zweitens müssen sie nun Geschäftszahlen sowie Gehälter offenlegen. Und so lässt sich der Einladung zur Generalversammlung entnehmen, dass sich die fünf «On»-Topmanager für 2021 eine Vergütung von insgesamt 83,6 Millionen Franken(!) auszahlen liessen. Das sind – man rechne – satte 16,7 Millionen pro Kopf! Was wiederum nicht ganz so bescheiden ist wie das Image, hinter dem sich die Schuhverkäufer gerne verstecken. Marc Maurer beispielsweise antwortete auf die Frage, welchen Luxus er sich jetzt gönne: «Für mich ist wichtig, mit On-Schuhen in der Natur laufen zu können. Das steht deutlich über den materiellen Wünschen.»

Wie edel.

Vielleicht würden er und seine Spezis sich besser um die Qualität und den Ruf ihrer Treter kümmern. Da sind nämlich noch ganz erhebliche Defizite auszumachen. Als «Laufschuh» taugten die im Billiglohnland Vietnam hergestellten, überteuerten «On»-Produkte gar nicht, ist aus der Szene zu hören. Und die 170 Millionen Franken Verlust von 2021 würden auch eine moderatere Vergütungs-Strategie erwarten lassen. Sich mit fast 17 Millionen zu schmücken, dürfte da das falsche Signal sein. Es erweckt – mit Verlaub – den Eindruck, die «Kapitäne» retteten schon mal, was noch zu retten ist. Zur Flucht vor den erzürnten Aktionären schlüpfen die Manager dann möglicherweise besser in ein strapazierfähigeres Schuhwerk.

Die Leute von «On» müssen sich im Augenblick zumindest vor Frankreichs «Immer-noch-Präsident» Macron und dessen Vorstoss bezüglich einer «Deckelung» der Manager-Entschädigungen in der EU nicht fürchten. Obwohl Bundes-Finanz-Chef Ueli Maurer inzwischen auch dann und wann mit dieser Keule wedelt…

Affaire à suivre.

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