Die Bösen kommen

Auszeit mit

Ich wage mal zu behaupten, dass sich die Wenigsten von ihnen an den 3. August 1833 und die Ereignisse, die sich in jenem Sommer in der Hülftenschanz zugetragen haben, erinnern können – am ehesten noch jene, die (Achtung Scherz!) selber dabei gewesen sind. Sei’s drum, ihrem Gedächtnis soll auf die Sprünge geholfen werden:

Es war dort, zwischen Pratteln und Frenkendorf, der Tag der Entscheidungsschlacht zwischen den Truppen der Stadt Basel und der Landschaft im zähen Ringen der Landschäftler um ihre Unabhängigkeit. Die Basler Vertretung wurde vernichtend geschlagen, der rote «Siibedupf» (was heute das Wappen des Landkantons ist) behielt seine Eigenständigkeit.

Die Chronisten überliefern einen einseitigen «Hoselupf» aufgrund der deutlichen Überlegenheit der landschäftler Freiheitskämpfer. Apropos «Hoselupf» – fast auf den Tag genau 189 Jahre nach dem Gemetzel stehen die Hülftenschanz und ihre unmittelbare Umgebung erneut im Brennpunkt schweisstreibender (Zwei-)Kämpfe. Ganz so martialisch wie ehedem wird es allerdings kaum zu- und hergehen, wenn sich am Wochenende die Schweizer Schwingerelite zum ESAF, dem Eidgenössischen Schwing- und Älplerfest, in der Prattler Arena trifft. Am Ende geht es dennoch darum, für ein dreijähriges Regnum einen neuen König zu finden oder einen alten zu bestätigen.

Hätten die «Rambassen» (die Raufbolde im Einzugsgebiet der «Ergolz» zwischen Rhein und Hauenstein) ihre Fehde mit den Städtern damals in Zwilchhosen und im Sägemehl ausgefochten, es wäre gewiss weniger Blut geflossen. Auch jenes von Heinrich Hug nicht. Der Bedauernswerte, der knapp 30-jährige Sohn eines zugezogenen Pfarrers aus Thalwil und selbst Obergerichtsschreiber des Kantons-Basellandschaft, verlor im Kampf – wie viele andere – sein junges Leben und wurde postum zum ersten Ehrenbürger des Land-Kantons ernannt. Eine Schriftplatte am Hülften-Denkmal erinnert noch heute an ihn und an seine hehren Ideale: «Die Freiheit war seine Braut», ist da zu lesen, «für sie ging er gerne in den Tod.» Nun ja, ganz so schwülstig werden die Unterlegenen vom kommenden Wochenende nicht verabschiedet werden. Ein Wurf ins Sägemehl ist ja nun auch beileibe noch nicht der Untergang. Allerdings… Ehrenbürger-Potential hat natürlich schon, wer sich in der Arena bei der Hülftenschanz gut verkauft.

Knapp 200 Jahre nach den Unabhängigkeitsbemühungen von Heinrich Hug und seinen Mitstreitern kommen «die Bösen» zurück in die Ebene zwischen der Prattler «Krummen Eich» und der Frenkendörfer Feldschanze in der Hülften. Wobei sich diesmal diese «Bösen» untereinander balgen werden. Als «Böse» werden im Schwingen die Kranzschwinger bezeichnet. Ihr Ziel wird es sein, in Pratteln zum «Eidgenossen» zu werden (wenn sie es nicht schon sind). So werden all jene genannt, denen bei einem «Eidgenössischen» (was alle drei Jahre stattfindet) ein Kranzgewinn gelungen ist. Dazu muss man wissen, dass lediglich 15 bis 18 Prozent der Teilnehmenden am Ende kranzberechtigt sein werden. Bei 280 Schwingern sind das die 42 bis 50 Bestplatzierten. Die «Eidgenossen» eben.

Wobei keiner der 280 Angetretenen leer ausgehen wird. Auch der Letzte wird sich am Ende im «Gabentempel» bedienen können. Das ist so Tradition bei den Schwingern. In Pratteln steht eine Kuppel, unter der Naturalpreise im Wert von einer guten Million präsentiert werden. Von der Harley-Davidson bis zum Staubsauger. Allesamt gespendet von schwing-affinen Firmen und Privatpersonen. Dazu kommen die «Lebendpreise» – der Sieger-«Muni», «Magnus» mit Namen, diverse Kühe, Rinder und Pferde. Wobei beim Gewinn von Tieren vorzugsweise schon mal der Gegenwert in Franken entgegengenommen wird. Auch das hat eine gewisse Tradition.

Apropos Tradition. Eine solche ist das «Eidgenössische Schwing- und Älplerfest» schlechthin. Erstmals ausgetragen 1895 (in Biel), exakt im Gründungsjahr des «Eidgenössischen Schwingverbandes». Seit 1974 im Dreijahres-Rhythmus eine feste Grösse im Schweizer Sportkalender. In Pratteln wird nun der 40. König gesucht. Der Erbe von Christian Stucki sozusagen, der vor drei Jahren in Zug triumphierte. Der 39. Nachfolger von Alfred Niklaus auch, dem allerersten Schwingerkönig von 1895. Beim ESAF steigen die Schwinger für acht Gänge (Kämpfe) in die Hosen. Die ersten beiden werden als «Anschwingen» bezeichnet, die Gänge 3 und 4 als «Ausschwingen», die nächsten beiden als «Ausstsich» und die letzten beiden, 7 und 8, sind als «Kranzausstich» bekannt. Die beiden Schwinger, die nach dem 7. Gang am meisten Punkte totalisieren, greifen – als Höhepunkt des Festes – im Schlussgang zusammen.

Keine Frage, die Hülftenschanz wird beben, wenn sie in gut zwei Tagen von den «Bösen» in Beschlag genommen wird, und wenn rund 60 tausend Zuschauer auf den Stahlrohtribünen ihre Favoriten anfeuern werden. Pratteln wird für ein Wochenende zum Ausrichter des grössten Schweizer Sport-Anlasses überhaupt. Erwartet werden rund 400’000 FestbesucherInnen, wobei nur ein kleiner Teil davon zu den Privilegierten mit einem Ticket für die Arena gehört. Der grosse Rest ringt sich vielleicht zu einem kleinen Spaziergang durch… hin zur Griengrube nördlich des Friedhofs «Egg» und zum 1836 errichteten Hülften-Denkmal, einem Obelisken aus rotem Sandstein, der an den Kampf der Landschäftler um ihre Unabhängigkeit erinnert.

Die Jubelrufe des fanatischen Schwing-Publikums aus der Arena werden ganz bestimmt auch dort zu hören sein.

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