Der ganz normale Wahnsinn

Auszeit mit

Dass der Sport bisweilen wunderliche Blüten treibt, das wissen wir. Nicht erst seitdem der Gummistiefelweitwurf sich im frühen 19. Jahrhundert in Finnland als anerkannte Sportart etabliert hat. Sie zweifeln?

Ohne Witz – im Land, das beim Frauenweittragen oder Dauersaunieren Jahr für Jahr Teilnehmerrekorde bricht, gibt es inzwischen sogar eine Weltmeisterschaft für Gummistiefelwerfer. Zu den Spielregeln gehört, dass Männer mit Grösse 43 und Frauen mit 38 werfen müssen. Dass der Weltrekord von 68 Metern von einem Finnen gehalten wird, versteht sich quasi von selbst…

Eine wahrlich sportliche «Blüte» wird auch auf der lieblich-schönen portugiesischen Insel Madeira gepflegt. Das Schlittenfahren ohne Schnee. Auf einer Holzkonstruktion werden mutige Touristen von zwei Anschiebern, die auch Bremser sind(!) vom auf 800 Metern über Meer liegenden «Monte» runter in die Hauptstadt Funchal gefahren. Ernest Hemingway soll das «Funchal Tobogganging» einst als «die berauschendste Erfahrung» seines Lebens beschrieben haben. Wirklich aufregend wird das Abenteuer allerdings erst, wenn es regnet!

Das ist er, der normale sportliche Wahnsinn.

Wenn man indessen glaubt, mit einer Fussball-Weltmeisterschaft im Dezember und im Fussball-Niemandsland Katar den Gipfel der Absurdität erreicht zu haben, wird man heute von einem noch schwachsinnigeren Vorhaben an den ganz alltäglichen Irrsinn von «Man-gönnt-sich-ja-sonst-nichts»-Superreichen erinnert: Asiatische Winterspiele in Saudi-Arabien!

Richtig gelesen – Asiatische Winterspiele in Saudi-Arabien!

Wir, die wir die Golfregion, wo Saudi-Arabien geografisch zu verorten ist, unter den Begriffen «Wüste», «Sand» oder «Trockenheit» subsummieren, reiben uns ziemlich verwundert die Augen. Winterspiele auf Wüstensand? Biathlon zwischen Ölbohrtürmen. Ein Slalom auf einer Wanderdüne mit Sicht aufs Rote Meer. Hockey in einer zwischen zwei Oasen aus dem Boden gestampften Eissporthalle unter Palmen. Das muss ein ausgekochter Witz sein. Pech gehabt. Es ist keiner. Denn – die Funktionäre des asiatischen Olympischen Komitees haben bei ihrem Kongress in der kambodschanischen Hauptstadt Phnom Penh tatsächlich ein umstrittenes Milliarden-Projekt abgesegnet und die Asien-Winterspiele 2029 nach Saudi-Arabien vergeben. Kommentar des saudischen Sportministers Prinz Abdulaziz Bin Turki Al Faisal: «Dies ist ein grossartiger Sieg für die saudische Nation und die ganze Golfregion». Wer sagt’s denn. Mit Milliarden von Petro-Dollars lässt sich in einer der trockensten Gegenden der Welt auch Winter machen. Getreu dem insbesondere aus dem Handel gebräuchlichen antiphrastischen Sinnspruch «Unmögliches wird sofort erledigt, Wunder dauern etwas länger».

Um mal etwas zu orakeln: es wird kaum ein Wunder brauchen. 2029 wird es mit Sicherheit Winterspiele in Saudi-Arabien geben. Dass Geld alles zu tun imstande ist, ist eine Weisheit, die sich unter den Turbanen und Kanduras der arabischen Welt (und bei all ihren Handlangern in den sport-politischen Entscheidungs-Gremien, ist man geneigt, anzufügen) längst durchgesetzt hat. Wenn nötig schütten ein paar unterbezahlte Arbeitsmigranten aus Nepal oder Pakistan kurzerhand einen 4000er auf, der die Vorgaben der FIS (dem Internationalen Ski-Verband) für den Bau einer den Regeln genügenden Abfahrtspiste erfüllt: Mindestens 1900 m Streckenlänge, minimaler Höhenunterschied 584 m, Höchstgefälle 71 %, Durchschnittsgefälle 32 %.

Keine Frage, den Saudis wird für die Feier des «Sieges für die Nation und die ganze Golfregion» (siehe Zitat Al Faisal) schon etwas Erinnerungswürdiges einfallen. Kein Grund zur Beunruhigung also…

Wesentlich beunruhigender ist die Tatsache, dass der Sport nie und nichts lernt! Der Entscheid aus Phnom Penh zeigt wieder einmal: der Wahnsinn geht ungebremst weiter! Er setzt sich auch mühelos gegen das Gedöns von Nachhaltigkeit und ökologischer Effizienz einiger «Exoten» durch. Für Vernunft gibt es im internationalen Sport-Geschäft keine Extra-Boni von umtriebigen Lobbyisten oder korrupten Regierungs-Delegierten.

Dafür gibt die kommende Fussball-Weltmeisterschaft in Katar das beste Beispiel her. Anstatt mal publikumswirksam auf die Bremse zu treten, eine WM zu verhindern, die nichts anderes ist als politische Propaganda, und unmissverständliche Regeln für eine Vergabe zu postulieren, sonnt sich die gesamte FIFA im zweifelhaften Glanz eines Regimes, das Fussball bis zum Erhalt der Endrundenspiele höchstens vom Hörensagen kannte. Dass sich der Widerstand gegen die katarischen Organisatoren allerdings erst in den letzten Wochen zu formieren begonnen hat, ist auch kein Ruhmesblatt für die, die sich nun etwas gar spät Gehör verschaffen (wollen). Die beschlossenen Boykotte in Form von verhinderten Public Viewings überall in Europa treffen nur gerade die echten Fans des Sports. Die aktiven Fussballer und ihre «Chefs» in den Verbänden verstecken sich hinter halbherziger Kritik und wagen sich nicht mit klaren und offenen Worten aus der Deckung. Das ist Hasenfuss-Mentalität, mit Verlaub. Die Drohung aus dem FIFA-Hauptquartier, es werde bestraft, wer die Politik in den Sport trage, lässt die Klientel des Weltfussballverbandes kuschen. Huschhusch wird aus einer Kapitäns-Binde in den Farben des Regenbogens (aus Solidarität mit der LGBT-Bewegung) ein «One Love»-Herzchen, das von der Menschenrechts-Organisation «Human Rights Watch» zurecht als «reine Symbolik» kritisiert wird. Und weiter: «Das ist ja kein politisches Statement, sondern man möchte darum herumkommen, die Regenbogenfahne zu tragen. Es wirkt ein bisschen unbeholfen…» Ein politisches Statement wäre in der Tat, wenn ein gut bezahlter Profi sich mal trauen würde, das Vorgehen der Scheichs in Katar gegen Homosexuelle an den Pranger zu stellen. Aber – das würde etwas Mut und Chuzpe erfordern. Ungeachtet der roten Köpfe auf den Ehrentribünen!

Da nimmt man es als wohltuend wahr, wenn «Hummel», der Ausrüster der dänischen Nationalmannschaft als Solist quasi seine Stimme erhebt. Die komplett in Rot, Weiss oder Schwarz gehaltenen Trikots, auf denen sich die Symbole des Ausrüsters ebenso wie des dänischen Fussball-Verbandes DBU farblich nicht abheben, seien – so der Sportartikel-Hersteller – «ein Protest gegen Katar und seine Menschenrechtslage». Hummel schreibt weiter: «Wir möchten bei einem Turnier nicht sichtbar sein, das tausende Menschen das Leben gekostet hat.»

Die Aktion von «Hummel» ist ohne Frage ehrenwert. Indessen, sie ist dennoch nicht mehr als eine Re-aktion. Man wünschte sich in unserer verpolitisierten Welt – die auch vor dem Sport keinen Halt macht, wohlverstanden – mehr proaktive Weitsicht. Dass der zitierte «ganz normale Wahnsinn» verhindert wird, bevor er beklagt werden muss!

(Fortsetzung folgt…)

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