Am Ast sägen? Nein!

Auszeit mit

Wenn es wohlerzogenen Journalisten und Öffentlichkeitsarbeitern, die sich „von Amtes wegen“ im Sumpf korrupter und selbstverliebter Sport-Funktionäre tummeln, Anstand und Respekt verbieten, die Machenschaften der Herren Infantino (FIFA), Bach (IOC) und anderer mit dem Zweihänder zu tranchieren, dann wohl in erster Linie darum, weil sie sich nur bedingt den Ast abzusägen gedenken, auf dem sie sitzen. Auch wenn in zuverlässiger Regelmässigkeit Verfehlungen, Ungereimtheiten oder gar konzertierte Widrigkeiten ruchbar werden, die Kommentatoren zwischen Palermo und Hammerfest üben sich in vornehmer Zurückhaltung. Was die Exponenten an der Spitze der einflussreichen Verbände geradezu dazu legitimiert, die kaum hörbaren Rufe Einzelner nach Veränderungen respektlos in den Wind zu schlagen und weiter dem unschönen Treiben zu huldigen.

Schillerndstes Beispiel für die Ignoranz der Mächtigen ist der Hohepriester des Weltfussballs, Gianni Infantino. Seine einzige, wirkliche Fähigkeit ist die, in jedes nur erdenkliche Fettnäpfchen, das am Weg steht, zu treten. Der Rest ist fehlende Sensibilität, mangelndes (Sport-)Verständnis, und eine bedenkliche Portion Opportunismus. Wenn er bei einem FIFA-Event beim WM-Ausrichter Katar seine Claqueure dazu aufruft, auf sein Kommando dreimal laut „Katar“ zu skandieren, und der Saal dennoch stumm bleibt, ist das peinlich. Wenn er dann aber nicht damit aufhört und quasi befiehlt, auch noch dreimal laut „FIFA“ zu brüllen, und der Saal noch immer stumm bleibt, dann ist das hochnotpeinlich. Absolut unverständlich indessen ist, dass der unbelehrbare Grossmeister der Peinlichkeiten nicht schnallt, dass er als Alleinunterhalter nicht ankommt. Nicht einmal im Schosse seiner arabischen Freunde.

Inzwischen – so scheint es – seilt er sich definitiv in die Niederungen der Verschwörungs-Theoretiker ab und irritiert an einer Konferenz mit Namen „Managing the Beautiful Games in Los Angeles“ (2028) mit kruden Aussagen über Todesopfer beim Bau der katarischen Stadien. Jeder, der einigermassen bei Sinnen ist, weiss, dass die kommende Fussball-WM vom 21. November bis 18. Dezember dieses Jahres in Katar im Schatten der prekären Arbeitsbedingungen von Tausenden Gastarbeitern steht. Viele von ihnen verloren beim Bau von Infrastruktur und Stadien sogar ihr Leben.

Anfang 2021 berichtete der britische „Guardian“ von über 6500 Toten seit der Vergabe der WM am 2. Dezember 2010. Amnesty International spricht von Arbeitern, die ihren Lohn monatelang nicht erhalten haben und gezwungen werden, in dreckigen und überfüllten Unterkünften zu schlafen.

Und FIFA-Präsident Gianni Infantino? Der fabuliert von drei Personen, die beim Bau der Stadien ihr Leben gelassen hätten! „6000 könnten bei anderen Arbeiten gestorben sein. Die FIFA ist nicht die Polizei der Welt, oder verantwortlich für alles, was auf der Welt passiert“, schwadroniert er weiter. Ob er jeweils hört, welchen Schwachsinn er verbreitet? Kaum. Denn er legt nach: „Wenn man jemandem Arbeit gibt, selbst unter schwierigen Bedingungen, gibt man ihm Würde und Stolz.“ Ob Infantino weiss, was hinter den Begriffen Würde und Stolz steckt?

Im Dialekt nennt man Leute wie den selbstherrlichen FIFA-Chef „Dampfplauderi“. Heisse Luft und sonst nichts. Das kann durchaus auch daran liegen, dass der Walliser Sohn eingewanderter Italiener am Persischen Golf etwas zu viel Hitze abbekommen hat. Das heizt natürlich auf – und wenn sich zwischen den Ohren nichts als Wasser befindet, sucht sich dieses in Dampfform schon mal den Weg durch den geöffneten Mund.

Beängstigend dabei ist, dass diesbezüglich keine Abkühlung in Sicht ist. Infantino verlegte nämlich zu Beginn des Jahres seinen Lebensmittelpunkt ins Gastgeberland der diesjährigen Fussball-WM. Er hat in Doha ein Haus gemietet und zwei seiner Töchter im Emirat eingeschult. Logisch, dass er das so lange in Abrede stellte, bis ihm der Boulevard die „Züglete“ nachweisen konnte. Allerdings sei das nicht eine Flucht vor der Schweizer Justiz, ist zu vernehmen. Die hat nämlich aufgrund eines Treffens von Infantino mit dem gegen ihn ermittelnden Schweizer Bundesanwalt  Michael Lauber ein Strafverfahren eröffnet. Wegen Anstiftung zu Amtsmissbrauch, Verletzung des Amtsgeheimnisses und Begünstigung. Und nun – Feigheit vor dem Feind?

Allerdings – ignorieren und verschweigen von Wahrheiten, ist nicht strafbar. Sie wegzulügen und zu bagatellisieren auch nicht. Aber, um Missstände ins Visier zu nehmen und sie beseitigen zu wollen, sind menschliche Grösse und Charakter gefragt. Auch wenn es darum geht, sich berechtigter Kritik zu stellen. Solche am WM-Ausrichter und an der Turnier-Vergabe äusserte beim FIFA-Kongress vor ein paar Wochen zum wiederholten Mal die norwegische Delegation unter Verbandspräsidentin Lise Klaveness. Die WM 2022 in Katar sei im Jahr 2010 unter „inakzeptablen Umständen und mit inakzeptablen Konsequenzen“ an das Emirat vergeben worden. Andere National-Verbände wagen sich nicht derart unverhohlen aus der Deckung – und machen lediglich die Faust im Sack. Und die Medien schweigen ohnehin. Sie sind „part oft the game“… und viel zu wenig solidarisch, um einen wie Infantino vom Thron stossen zu können.

Der Platz auf ihrem Ast ist ihnen viel zu wichtig. Den wollen sie nicht riskieren.

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