Warme Weihnachten. Alpengrün und Alpenbraun.

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Der aktuelle Ausblick auf das Weihnachtsfest: Warm, feucht, grün und braun.

Statistisch gesehen, ärgerten wir uns schon an 7 von 10 vergangenen Weihnachtsfesten über das Tauwetter. Warmluft-Einbrüche seien Weihnachten ganz typisch, sagen die «Wetterfrösche». Seit gestern stieg die Schneefallgrenze auch wieder auf über 2000 Meter. Und der Grossteil der Alpen darunter ist grün und braun.

Bisher dachte man immer, dass unsere allgemeine Klimaerwärmung weltweit eher zu längeren Vegetationsperioden führt und viele Pflanzen deshalb im Frühling früher austreiben und im Herbst länger von den warmen Temperaturen zehren würden, also uns insgesamt länger mit ihrem Grün erfreuen.

Falsch!

Sagen die Pflanzenökologinnen und – ökologen der Universität Basel, die das kürzlich erforschten. Beim häufigsten Typ von alpinem Grasland in den Alpen sei das nämlich überhaupt nicht der Fall. Wer im Sommer in den Alpen wanderte, stiess nicht selten schon im Frühsommer auf schon wieder braune Grasmatten.

Neu hingegen gelte: ein früherer Austrieb des Grases führt zu einer früheren Alterung und daher zu den braunen Matten. Der Kontrast der innerhalb eines Kalenderjahres 2021/2022 aufgenommenen oben ersichtlichen 4 Fotos ist sehr gut sichtbar.

Das Frühjahr in diesem Jahr 2022 war extrem warm und bescherte vielen Pflanzen einen frühen Wachstumsbeginn, denn die Schneedecke schmolz früh und die darunter liegende Vegetation «ergrünte» schneller als bisher.

Für ihre Studie entnahmen die Forscher intakte Blöcke von alpinem Rasen und brachten sie in begehbare Klimakammern am Botanischen Institut in Basel. Hier liessen sie die Rasenstücke in kalter Dunkelheit künstlich überwintern und schickten einen Teil bereits im Februar in den Sommer. 

Einen zweiten Teil liessen sie bis im April im kalten Dunklen, bevor auch für diese Rasenstücke der Sommer (künstlich) in den Kammern eingeschaltet wurde. 

Deren Wachstum und die Alterung dieser Pflanzen verglichen die Forschenden dann mit ihren natürlich wachsenden Nachbarn in 2500 m Höhe, die erst Ende Juni aus dem Schnee kamen.

Autonomes Programm bei den Pflanzen

Die in der Zeitschrift «Nature Communications» veröffentlichte Studie zeigt, wie die meisten dieser alpinen Pflanzen nach etwa fünf bis sieben Wochen aufhörten zu wachsen und den Alterungsprozess einleiteten, unabhängig davon, wann sie – wie oben beschrieben – jeweils «geweckt» worden sind. 

«Wir waren erstaunt, wie stur die dominante Pflanzenart, die Krummsegge, nach wenigen Wochen auf Alterung umschaltet und braun wird», meint Dr. Erika Hiltbrunner, Wissenschaftlerin in der Forschungsgruppe von Prof. Dr. Ansgar Kahmen an der Universität Basel und Leiterin der alpinen Forschungsstation «Alpfor» auf dem Furkapass. 

Der Furkapass ist ein 2429 m ü. M. hoher Schweizer Strassenpass in den Alpen. Er verbindet das Urserental (das obere Tal der Reuss) im Kanton Uri mit dem Bezirk Goms im Kanton Wallis. Auf ihm verläuft die Europäische Wasserscheide zwischen Mittelmeer und Nordsee.

Nach der Schneeschmelze Ende Juni 2022 wurden die entnommenen Grasblöcke wieder an den alpinen Standort zurückgebracht. 

«Zu dem Zeitpunkt, als die natürliche Vegetation in vollem Wachstum war, waren die Pflanzen mit dem frühsten Saisonstart schon ganz braun», fügt Doktorand Patrick Möhl hinzu. 

Eine auf eine bestimmte Zeitspanne fixierte Wachstums- und Alterungsperiode ist in einer alpinen Umgebung mit sehr kurzer Vegetationszeit von Vorteil. 

Dieses autonome Programm der Pflanzen verhindert, dass sie länger aktiv bleiben, auch wenn das Wetter ausnahmsweise noch günstig ist. Ein Wintereinbruch mit eisigen Temperaturen sowie Schneefällen ist ungefähr ab dem August jederzeit immer möglich.

Neben dem Blattwachstum und dem allgemeinen «Ergrünen» der Vegetation untersuchte das Team auch das Wachstum der Wurzeln. Dazu schoben die Forschenden eine digitale Kamera in durchsichtige Bodenröhren, um das Wurzelwerk regelmässig mit einer hohen Präzision zu scannen. Ein neuer Algorithmus erkennt in den Bildern die Wurzeln und zeichnet das sonst verborgene Wurzelwachstum hochaufgelöst nach. 

Dessen Analyse ergab, dass die Wachstumsdynamik der Wurzeln derjenigen der Blätter folgt: auch die früh «geweckten» Wurzeln wuchsen kaum mehr nach den ersten zwei Monaten, trotz der warmen Wurzeltemperaturen.

Brauner Alpensommer

Es gibt zwar einzelne Pflanzenarten, deren innere Uhr weniger strikt auf eine bestimmte Länge der Wachstumsperiode fixiert ist und die bei günstigen Bedingungen länger aktiv bleiben. Solche Arten könnten künftig häufiger werden und die heute dominanten Arten verdrängen. Ob wir die einstmals gewohnten grünen Alpensommer noch mal erleben?

Solche Änderungen in der Art-Zusammensetzung geschlossener, alpiner Rasen dürften mindestens Jahrzehnte oder länger dauern, denn die alpinen Graslandarten vermehren sich mehrheitlich vegetativ, bringen also genetisch identische Nachkommen hervor, was eine Anpassung an neue Umweltbedingungen durch genetische Veränderungen immer wieder ausbremst. 

Zudem bildet die erwähnte Krummsegge (lateinisch: Carex curvula) ein extrem dichtes Wurzelwerk, das Verschiebungen in der Artzusammensetzung kaum Raum lässt. 

Solange die heutige Vegetation nicht von flexibleren Arten verdrängt wird, wird alpines Grasland also zunehmend schon im Sommer braun aussehen. 

Nun wissen wir Bescheid.

Publikation:

Patrick Möhl, Raphael S. von Büren & Erika Hiltbrunner
Growth of alpine grassland will start and stop earlier under climate warming
Nature Communications (2022), doi: 10.1038/s41467-022-35194-5

Bilderklärung: Die nachfolgend beschriebenen experimentellen Ergebnisse lassen sich auch in der Natur beobachten (Webcam-Fotos). Frühe Schneeschmelze (2022, rechts) führt zu früherer Alterung, das heisst braunem alpinem Graslan

d, verglichen mit Jahren mit späterer Schneeschmelze (2021, links). Die Zelte im Hintergrund gehören zu einem anderen Experiment auf 2500 m über Meer (Webcam Forschungsfläche Bidmer, Alpfor).

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