Nachdenken, warum nicht?

Auszeit mit

Das will wahrscheinlich wieder kaum jemand lesen – aber, wie wäre es, wenn wir uns mal wieder etwas übers Nachdenken unterhalten würden. In vertrauter Runde zu Hause, zum Beispiel. Oder beim Kaffee im Büro. Im Stau auf der A1 zwischen Egerkingen und – ja – Grauholz! Oder bei einem gähnigen WM-Fussballspiel aus der katarischen Wüste…

Okay, das ist ein polarisierendes Thema. Nein, nicht die Fussball-WM in Katar, sondern das Nachdenken. Ich weiss. Ich will es trotzdem mal auf die Agenda bringen.

Wenn man eine Handlung bedenkt, denkt man vor, indem man nachdenkt. Die oft und gerne besungenen Vordenker haben nachgedacht. Das klingt jetzt vielleicht etwas kryptisch. Es ist aber so.

Nachdenken ist, wenn ich mir – erstens – vor dem Gang in die Migros einen Einkaufszettel mache, und ihn – zweitens – so schreibe wie ich durch den Laden gehe, damit ich – erstens – alles habe, was ich wirklich brauche und nicht einen Korb voller Goodies kaufe, die mich auf Augenhöhe angelacht haben. Und – zweitens – damit ich nicht zwischen den Bereichen hin- und herspringen muss, wie die Ober-Clowns von StadtKonzeptBasel zwischen Realität und Ideal (die Freie Strasse lässt grüssen!). Nachdenken ist, wenn ich überlege, ob es – zum Beispiel – langfristig sinnvoll ist, die Schweizer Spitzen-Hotellerie hemmungslos an aufsässige Chinesen zu verkaufen, oder die schlingernde «Crédit Suisse» den Scheichs am Golf zu verscherbeln. Nachdenken heisst pausieren. Emotionen fühlen, interpretieren und von Gedanken trennen. Überlegen, Konsequenzen bedenken, reflektieren. Wozu kann ich überhaupt etwas sagen? Muss ich jetzt etwas sagen? Was weiss ich überhaupt – wirklich, aus erster Hand. Nachdenken war einmal eine Lebensaufgabe. Es gab Philosophen, die haben so lange nachgedacht, bis sie gemerkt haben, dass sie nur wissen, dass sie nichts wissen. Platon (Bild) etwa in der «Apologie des Sokrates» ca. 380 v. Chr., oder Cicero 45 v. Chr. In der Fassung «ipse se nihil scire id unum sciat» im literarischen Dialog «Academici libri».

Heute haben wir Philosophen, die nicht einmal eine Sekunde nachdenken, bevor sie sich publikumswirksam zum Weltgeschehen äussern. Nun gut – nachdenken zu  können, erfordert auch das entsprechende Instrument (genau, das zwischen den Ohren), was der rothaarige, sommersprossige Sohn italienischer Einwanderer – so ist anzunehmen – in seinem Primarschul-Pult in Brig liegen gelassen hat. Nachdenken kann also gar nicht die Stärke von FIFA-Boss Gianni Infantino sein. Klar, dass er sein unbewusstes Nicht-Wissen durch eine trotzige Reaktion vor der versammelten Welt-Journaille demonstrieren muss. Ohne über die Folgen nachzudenken, versteht sich.

Echt, nachdenken war mal eine Tugend. Heute verstösst man gefühlt gegen die Genfer Konvention, wenn man nicht sofort eine Meinung parat hat und die in 30 Sekunden darlegen kann. Zum Beispiel: Atomkraftwerke sind immer «sch….e». Elektroautos sind immer gut. Wolodymyr Selenskyj macht alles richtig. Nun, ich vermisse es… dass man mal etwas innehält, bevor man nach dem fünften Bier über die russische Kriegsstrategie fachsimpelt.

«Weiss ich nicht.» «Dafür müsste ich zuerst die Weltgeschichte etwas studieren.» «Dazu bin ich aber zu besoffen, sorry.» Warum ist das nicht sexy? Warum ist nachdenken nicht cool? Warum ist es dagegen immer noch sexy, wenn halbnackte Frauen auf Schuhen rumeiern, mit deren Absätzen man eigentlich Sushi essen könnte? Welcher Mode-Futzi hat gesagt «das ist heiss»? Camilla Parker-Bowles hätte damals, in den späten Achtziger-Jahren, vermutlich Gänsehaut bekommen, wenn ihr Prinz Charles ins Ohr geflüstert hätte: «Camilla, ich muss erst darüber nachdenken, ob es langfristig sinnvoll und angemessen ist, wenn ich jetzt mit Dir ins Bett gehe – obwohl ich verheiratet bin». Hätten wir alle mehr nachgedacht, es wäre uns manches Schlamassel erspart geblieben. Dann hätten wir schon längst viel mehr grüne Energie. Dann wäre uns diese unsägliche WM in Katar erspart geblieben. Und dann gäbe es vielleicht auch keine «Uggs» – den hässlichsten Fussüberzug seit der Erfindung des Schnabelschuhs.

Nennen sie mich naiv, aber ich glaube standhaft, dass die Nutzung des Gehirns durchaus Vorteile hat.

Auch im Hinblick auf die Bundesrats-Ersatzwahlen in – genau – einer Woche. Durch den Türspalt vor der Ratsstube des Basler Präsidialdepartements ist unüberhörbar zu vernehmen, wie bereits am feierlichen Empfang für das erste Basler Exekutiv-Mitglied in Bundesbern seit 50 Jahren (Hanspeter Tschudi) herumgewerkelt wird. Die Favoritin der SP, Eva Herzog, einst (von 2005 bis 2020) Herrin über die kantonal-baslerischen Finanzen, wird´s schon richten… Und nachdenken? Wann?

Bei einem Gang durch die Freie Strasse fallen einem im Augenwinkel die Bauarbeiter auf, die behände die unzähligen Stolperfallen wegräumen, damit der Kutschenkorso – gesponsert von «StadtKonzeptBasel» – unbehindert zum Rathaus vorfahren kann. Die Gebinde sind bei «Fleurs des Rois» bereits in Auftrag gegeben worden, frei nach dem Motto von Beat Jans’ Präsidialdepartement «Me gönnt sich jo sunscht nüt». Die Polizeimusik, aufgeboten von Regierungsrätin Stephanie Eymann, übt die «Internationale» und den «Basler Marsch» in Kampfmontur. Man will für die Demonstrationen von Kurden und Menschenrechtsaktivist*innen gerüstet sein.  Und die SP Basel-Stadt koordiniert – angeführt von den beiden Präsidentinnen Jessica Brandenburger und Lisa Mathys – die Lastenvelo-Durchfahrt ihrer Mitglieder auf dem Marktplatz.

Basel denkt – wer hätte das gedacht – voraus. Stadtpräsident Beat Jans und seine Getreuen haben sich an den ehemaligen französischen Publizisten, Verleger und Politiker Emile de Girardin (1806 bis 1881) und an dessen Weisheit erinnert: «gouverner c’est prévoir» (regieren heisst vorausschauen). Wer sagt’s denn. Vor(aus)denken impliziert, nachgedacht zu haben. Wir räumen jetzt mal ein, dass sich die basel-städtischen präsidialen Vordenker auch einen Plan B zurechtlegen werden. Falls der bundesrätliche Kelch ein weiteres Mal an der nordwestlichen Politik vorübergehen und erstmals der Jura, in der Person von Élisabeth Baume-Schneider, zum helvetischen Exekutiv-Handkuss kommen sollte.

In diesem – nicht ganz unwahrscheinlichen – Fall wäre eines ganz bestimmt geboten: darüber nachzudenken, ob die für den Herzog-Korso geräumte Freie Strasse (Vorsicht Spass!) nicht am besten bis nach der Fasnacht geräumt bleiben soll.

Kommentieren Sie den Artikel

Bitte geben Sie Ihren Kommentar ein!
Bitte geben Sie hier Ihren Namen ein