Gelegentliche Betriebsstörungen

Auszeit mit

Verspätungen, Zugausfälle, Betriebsstörungen – Begriffe, die im Vokabular der Schweizerischen Bundesbahnen SBB zum Standardprogramm gehören wie der alljährliche Fahrplanwechsel Mitte Dezember. An den Fahrplanwech-sel kann man sich ja noch halbwegs gewöhnen, an die Widrigkeiten im Fahrbetrieb will man das nicht. Sich gewöhnen. Wozu sollte man das auch?

Okay, bei einem Transportunternehmen, das pro Jahr auf 3162 Streckenkilometern (Normalspur) knapp 500 Millionen Passagiere bewegt, wäre ein ganz klein wenig Nachsicht sicher angebracht. Diese von jemandem zu verlangen, der pünktlich auf dem Perron steht, um dann zu erfahren, dass der «9-Uhr-28» nach Interlaken Ost bedauerlicherweise nicht fährt, weil Unterhalts- und Ausbauprojekte zu Einschränkungen zwischen Basel SBB und Bern – in beiden Richtungen – dies erforderten, ist dann aber vielleicht doch etwas des Guten zu viel. Und es tröstet gewiss auch nicht, dass 10 Uhr 28 kein Eurocity nach Mailand fahren, und auch der Intercity von 14 Uhr 28 nach Brig, wie die SBB-Sprecherin Jeannine Egi zu Protokoll gibt, der vorübergehenden «Angebotsreduktion» zum Opfer fallen wird. Der Grund: Fahrbahn- und Weichenerneuerungen im Raum Luzern bis am 5. Mai.

Und das ist ja dann noch nicht alles. Es hört sich schier entschuldigend an, wenn die SBB-Kommunikations-Dame kleinlaut verkündet, dass zwischen Ende Mai und Ende Juli «eine weitere, intensive Bauphase» geplant sei. Man konsultiere mal den Kalender… das trifft exakt den Start des Ferienreiseverkehrs. Halleluja!

Zugegeben, die SBB bietet genügend Angriffsfläche, um an den Stammtischen zwischen Schaffhausen und Chiasso oder St. Gallen und Genf ein Dauerthema zu sein. Und nur allzu gerne drischt männiglich auf einen «Bundesbetrieb» ein, der allerdings so gar keiner mehr ist. Per 1. Januar 1999 nämlich wurden die SBB aus der Bundesverwaltung ausgegliedert und in eine «spezialgesetzliche Aktiengesellschaft des öffentlichen Rechts» umgewandelt. Deren Aktien befinden sich vollumfänglich im Besitz der Schweizerischen Eidgenossenschaft – also auch all jener, die Steuern an diese abführen, am Stammtisch poltern, und gelegentlich ungeduldig auf dem Perron vom einen Fuss auf den anderen treten.

Um einen ordentlichen Betrieb aufrecht erhalten zu können, flossen – zum Beispiel – zwischen 2007 und 2010 5,88 Bundes-Milliarden in den Geldbeutel der Bundes-Bahnen. Damit bewirtschaften die SBB – hätten sie es gewusst – auch 28´999 Parkplätze (Park und Rail) und 95´546 Abstellfelder für Zweiräder. Und mit rund 33´000 Vollzeitbeschäftigten arbeitet sie tagtäglich an der «Reisendenpünktlichkeit» im Personenverkehr. Diese wurde vor der Pandemie mit 93,4 % angegeben, was der Wert ist, ermittelt beim «Eintreffen der Reisenden am Bestimmungsort, gemessen ab dem Abfahrtsort inklusive allenfalls notwendiges Umsteigen, mit weniger als drei Minuten Verspätung» (SBB).

Hirofumi Wada wäre überglücklich gewesen, hätte man ihm drei Minuten Verspätung zugestanden. Hat man ihm aber nicht. Und eine Lohnkürzung gabs obendrein…

Hirofumi Wada? Hirofumi wer?

Herr Wada aus der japanischen Präfektur Okayama war Lokführer beim Bahnbetreiber «JR West» (Japan Railways West) bis er vor gut zwei Wochen mit 61 nach kurzer, schwerer Krankheit starb. Bis zu seinem Tod führte er eine Schadenersatz-Klage gegen seinen Arbeitgeber, der ihm aufgrund einer einminütigen(!) Verspätung bei einem Rangier-Einsatz im Juni 2020 kurzerhand den Lohn gekürzt hatte. Das wollte Lokführer Wada nicht hinnehmen. Obwohl er bei «JR West» schon viel erlebt hatte. Auch die Zeit, in der die japanische Bahn (JR), zu der «JR West» gehört, versuchte, Verspätungen oder andere Fehler mit überharten Disziplinarmassnahmen zu bekämpfen. Zugführer mussten dann etwa Regelbücher abschreiben, Unkraut im Bahngelände jäten oder Toiletten putzen.

Das zuständige Bezirksgericht in der Präfektur Okayama gab Hirofumi Wada gestern nun recht. Es verurteilte «JR West» dazu, den Lohnabzug vollumfänglich zurückzuzahlen.

Das japanische Beispiel der Lohnabzüge wegen Verspätungen hat in der Schweiz noch nicht Schule gemacht. Zum Glück, meinen die chronisch bösen Zungen (auch unter den SBB-Kritikern), die der Ansicht sind, dass Veränderungen oder Verbesserungen nur durchzusetzen sind, wenn es an den Geldbeutel der Direktbeteiligten gehe. Noch gibt es indessen in der SBB-Chefetage kein Geheimpapier, das etwas Ähnliches zum Thema hat.

Dabei fällt mir ein:

Habe ich sie über die Höhe des Lohnabzugs von Herrn Wada eigentlich ins Bild gesetzt?

Dieser hatte satte 56 Yen betragen – das sind umgerechnet 40 Rappen…

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