Geduldiges Papier

Auszeit mit

Wenn sich eine Erkenntnis über mehr als 2000 Jahre gehalten hat, dann hat sie sattsam Wurzeln geschlagen. Was eine gewisse Werthaltigkeit impliziert. Eine solche Erkenntnis formulierte einst Marcus Tullius Cicero. Zirka 60 vor Christus. «Epistula non erubescit» – was mit «der Brief errötet nicht» übersetzt werden kann.

Cicero war einer der vielseitigsten Köpfe der römischen Antike – Politiker, Anwalt, Schriftsteller und Philosoph, der berühmteste Redner Roms und Konsul. Für die Niederschlagung der Verschwörung des Cantilla und die daraus resultierende vorläufige Rettung der Republik, 63 v. Chr., ehrte ihn der Senat mit dem Titel «pater patriae» (Vater des Vaterlandes). Mit seinem «epistula non erubescit» prägte er die von Nachfolgegenerationen im deutschen Sprachraum häufig gebrauchte Redewendung «Papier ist geduldig». Was von der Tatsache, dass ein Brief nicht errötet, ableitet, dass Papier besonders geduldig ist.

Heutzutage, in der digitalen Moderne, ist jedoch nicht mehr nur vom Papier Geduld gefragt. Dasselbe gilt genauso für alle online verfügbaren «Tools» – Blogs, digitale Zeitungen, Chats oder Messengers. Ohne die Geduld des «Speichermediums» würden so manche Gefässe vor Scham erröten und vor intellektueller Überforderung explodieren.

Auf der Suche nach besonders geduldigem Papier stösst man bisweilen auch auf Kurioses. Zugegeben, es rechtfertigt selbstverständlich eine Schlagzeile, wenn ein Etappensieger des «Giro d´Italia» – quasi unfreiwillig – vom Rad steigen und die Rundfahrt aufgeben muss. Zumal wenn es sich um einen Eritreer handelt, der als erster afrikanische Radprofi aus dem Subsahara-Raum das Teilstück einer grossen Tour (Giro, Tour de France, Vuelta Espana) gewinnen konnte. Biniam Girmay gelang das im Sprint der 10. Etappe in Jesi. Pech nur, dass er sich – aus Freude von Sinnen, vermutlich – beim Öffnen des Sieges-Champagners den Korken ins Auge schoss… Konsequenz: Forfait für den Rest des Giro.

Nachgerade strapaziert wird die Geduld des Papiers, wenn ein Medium – unkommentiert, wohlverstanden – vermeldet, die Geschäftsführerin der «Deutschen Fussball Liga» DFL, Donata Hopfen, denke laut darüber nach, künftig per Mini-Drohne On-Field-Interviews mit Spielern während des Spiels durchzuführen! Da hat die gute Frau Hopfen wohl ein Hopfen über den Durst getrunken, bevor sie bei der Technologie-Messe «Sports-Innovation 2022» ihre Zukunftsvisionen für den deutschen Fussball vorstellte. Vielleicht wäre es wesentlich sinnvoller, ins Auge zu fassen, die Interviews während und direkt nach den Spielen zu verbieten. Der Schwachsinn nämlich, der da von tumben Journalisten abgefragt und von geistig überforderten Spielern mit 220 Puls in Mikrophone gehechelt wird – vielen Dank. «Bei welchem Club gedenken sie, zu unterschreiben? Mailand oder Madrid?» Antwort: «Mailand oder Madrid, ist eigentlich egal, Hauptsache Italien…»

So weit – bis nach Italien – muss indessen nicht gehen, wer nach Beweisen für die Geduld von Papier Ausschau hält. Da tuts der Blick in eine Medienmitteilung des Basler Präsidialdepartements. Da steht schwarz auf weiss: Am 14. Mai 2022, dem internationalen Tag des Fairen Handels, hat Basel die Auszeichnung als Fair Trade Town erhalten…» Darin liest man, es handle sich um ein Label, das der Dachverband Swiss Fair Trade an Städte vergebe, die sich «für fairen Handel» und einen «nachhaltigen Konsum» einsetzen. Bravo!

Braucht es diese «Auszeichnungen», um den Dachverband zu legitimieren? Müsste es nicht selbstverständlich sein, dass Städte sich «für fairen Handel» und «nachhaltigen Konsum» stark machen? Braucht es dafür eine Medienmitteilung? Ja, braucht es dafür überhaupt ein Präsidialdepartement? By the way – aus der Verwaltung hört man, dass dort seit bald drei Jahren nur noch fair getradeter Kaffee getrunken wird. Zu wenig, darf angemerkt werden. Anders ist es nicht zu erklären, dass ebendiese Verwaltung in vielerlei Hinsicht schläft.

Nun gut. Ein Label mehr. Was soll´s.

Label, das – Plural: Labels, von gleichbedeutend englisch label entlehnt, meint Etikett, Marke, Prädikat oder Siegel. Basel hängt mit Labels voll. Basel ist eine Humanisten-, Kultur-, Kunst- und Museumsstadt. War auch schon Messestadt – lang ist´s her. Wollte immer Medienstadt sein. Womit, fragt man sich heute. Eine Fasnachtsstadt, das ist unbestritten. Eine Architekturstadt – na ja, bei all den (Dauer-)Baustellen geht das schon mal unter. Basel ist eine Klimanotstand-, Wohnungsnotstand- und Parkplatznotstand-Stadt. Eine Demo-Stadt auch, nicht nur am 1. Mai, sowie eine Graffiti-Stadt. Allerdings eine mit überdurchschnittlich vielen unbegabten Sprayern. Eine Buvetten-Stadt ist Basel ebenso wie eine Gourmet-Stadt, eine Genussstadt – eine Fussball-Stadt, wenn´s denn dem Club läuft, auf jeden Fall. Mit einer Muttenzer Kurve – was allerdings bereits «Land» ist –, die choreografisch derzeit die besseren Auftritte hinlegt als die Mannschaft auf dem Feld.

Das jüngste Label, das der Fair Trade Stadt, ist ein völlig obsoletes. Es sei nämlich noch verraten, dass es in der Schweiz bereits 18 Fair-Trade-Towns gibt! Von Exklusivität keine Spur. Es würde jedoch nicht wundern, wenn das Standortmarketing im Präsidialdepartement die Tatsache, dass so viele Etiketten an seiner Stadt hängen, flugs verwerten und Basel als «Stadt der tausend Labels» plakatieren würde.

Auf Papier am besten. Das ist, Cicero hat es uns gelehrt, geduldig…

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