Fingerspitzengefühl

Auszeit mit

Fingerspitzengefühl, das – Substantiv, Neutrum – Worttrennung Fin│ger│spit│zen│ge│fühl, Feingefühl, Einfühlungsgabe im Umgang mit Menschen und Dingen. So ist der Begriff im Duden, eingebettet zwischen «Fingerspitze, die – Substantiv, feminin» und «Fingersprache, die – Substantiv, feminin», aufgeführt. Man wünschte sie bisweilen so manchen Zeitgenossen, diese «Einfühlungsgabe» im Umgang mit Menschen und Dingen…

Zum Beispiel jenen, die mit der Ausrichtung von Personalfesten betraut sind. Nun gut, so etwas stellt, seien wir ehrlich, nicht wirklich allerhöchste Anforderungen. Ein bisschen Ambiente schaffen. Für Speis und Trank sorgen. Eine geeignete Lokalität – was neudeutsch Location heisst – finden. Und los geht’s.

Es ist dann zweifellos eher ungeschickt, wenn die Psychiatrie Baselland ihr jährliches gemeinschaftliches «Besäufnis» bei Bier, Prosecco und Wein auf dem in der Hausordnung zur «alkoholfreien Zone» erklärten Campus der Klinik abhält. In unmittelbarer Nähe auch von Menschen, die in Alkoholentziehungsprogrammen gegen ihre Sucht kämpfen. Fingerspitzengefühl? Fraglich, eher nein.

Den Veranstaltern ist allerdings zugutezuhalten, dass sich das Fest auf ein abgegrenztes Gebiet im Aussenbereich des Campus konzentriert und – natürlich – nie die Formen eines Gelages angenommen hat. Es ist auch überhaupt nicht nachgewiesen, dass allfällig «Gefährdete» hätten betroffen sein können.

Ob dem Schreiberling des Zeitungsartikels in einem Stadtbasler «Blatt», der unter dem reisserischen Titel «Personal trinkt Prosecco neben alkoholkranken Patienten» den Mahnfinger gegen die Psychiatrie-Belegschaft erhebt, mehr Fingerspitzengefühl eigen ist als den besagten Organisator*innen, bleibe einmal dahingestellt. Auch hier gilt: fraglich, eher nein!

Denn – der gute Martin R. lässt sich aufgrund eines Anrufs von «Leser X» zu einem mehr als tendenziös-polemischen Pamphlet hinreissen. Vor Ort war der Berichtende selber nämlich nicht! Journalismus, der auf Hörensagen beruht, ist – wenn schon – genauso verwerflich wie ein Verstoss gegen die Hausordnung der Psychiatrie Baselland. Dumm nur, dass der Terminus «Fingerspitzengefühl» in der Allerwelts-Sprache der Medienschaffenden heutzutage kein verpflichtendes Element mehr ist. Hauptsache, die Chose ist reisserisch und aufregend genug.

Ja klar, es ist mal wieder Ferienzeit – oder «Saure-Gurken-Zeit» wie der Journalisten-Jargon die Periode des kollektiven Nach-Süden-Reisens betitelt. Grund genug zum Versuch, die dramatisch einbrechenden Kiosk-Verkäufe oder die elektro-medialen Quoten-Taucher mit einwickelnd-fetten Schlagzeilen zu stoppen. Fingerspitzengefühl ist da eher nicht gefragt.

Sehr wohl aber vom Personal der Migros-Filiale «Gundelitor» und der Top-Pharm-Apotheke «Gellert», das dereinst zu den «Plauderkassen» beordert wird. Sie lesen richtig «Plauderkassen». Das sind Kassen, an denen sich Kundinnen und Kunden beim Aus- und Einpacken ihrer Einkäufe nicht beeilen müssen und mit dem Personal über Gott und die Welt diskutieren können, ohne genervte Blicke anderer zu riskieren. Die Fachstelle «Gsünder Basel» startet dieses Projekt im Oktober in besagten Lokalitäten.

Nun ist das Ganze – wieder einmal, ist man geneigt zu sagen – nicht die Glanzidee einer Basler Institution, die sich der Gesundheitsförderung der Bevölkerung verschrieben hat. Das Projekt ist abgekupfert. Erfunden haben es die Holländer. In Filialen der niederländischen Supermarktkette «Jumbo» sind bereits seit drei Jahren kontaktfreudige Angestellte an Kassen anzutreffen. Die erste «Kletskassa» (frei übersetzt: Plauderkasse) wurde im Sommer 2019 in der Ortschaft Vlijmen eröffnet.

Bald also auch in Basel.

Eifrig sucht «Gsünder Basel» deshalb derzeit Freiwillige Mitarbeitende für das Pilotprojekt PLAUDERKASSE. Es eilt. Vom 29. bis zum 31. August finden die Bewerbungsgespräche statt, vom 19. bis zum 22. September die Ausbildungskurse.

Was uns das sagt?

Plaudern muss gelernt sein!

Dazu sind die Anforderungen klar definiert: …wir suchen … Mitarbeitende, die offen und werturteilsfrei anderen Menschen gegenüber sind, eine gute Sozialkompetenz besitzen und Freude am Kontakt mit Menschen in verschiedenen Lebenssituationen haben. Es ist von Vorteil, wenn Interessierte … über gute Deutschkenntnisse verfügen. Eine eigene stabile Lebenssituation der Bewerbenden sowie psychische Gesundheit … werden vorausgesetzt. Von Fingerspitzengefühl indessen ist nicht die Rede. Von psychischer Gesundheit schon (siehe oben). Ob es zum Abschluss des «Pilots» ein lustiges Mitarbeitenden-Fest mit Bier, Prosecco und Wein geben wird? Auch das wird vorderhand noch nicht verraten.

Und eine allfällige Party-Location bleibt ebenso geheim. Man möchte nicht unbedingt nach dem Event in der Zeitung davon lesen… wegen dem Fingerspitzengefühl und so.

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