Basel tickt anders…

Auszeit mit

Der alltägliche Wahnsinn auf dem Basler Centralbahnplatz, wenn sich der Strom der noch Schlaftrunkenen aus den Pendlerzügen hinaus auf die Perrons der Tram-Haltestellen ergiesst, wenn von links der Trämmler des «8er» sturmbimmelt und von rechts der «11er» bei einer Vollbremsung Staub aufwirbelt. Nur gut, dass da nicht auch noch Autos in den Verkehr eingreifen. Es würde der Stresspegel ins Unermessliche steigen.

Dazu passt, dass eine britische Studie bei Verkehrsteilnehmern zur Rushhour einen höheren Anspannungszustand vorfand als bei Kampfjetpiloten im Flug oder bei Polizeieinsatzkräften, die gewaltsame Ausschreitungen zu kontrollieren hatten. Autofahren durch eine betriebsame Innenstadt während des morgendlichen Berufsverkehrs ist – gemäss der Studie – demnach im Durchschnitt mit mehr Stress verbunden, als einen Prüfungsvortrag vor einer Klasse zu halten, und etwas weniger stressig als ein Fallschirmsprung aus einem Flugzeug.

Unfallfrei im «Drämmli» Richtung Innenstadt angekommen, ist dann aber noch lange nicht «alles gut». Ja klar… da ist noch die Baustelle vor dem Bürofenster. Wobei es inzwischen keine Rolle mehr spielt, in welcher Gegend das Büro steht. In Basel wird überall gebaut. Und jeder kennt diese Ohnmacht, wenn gleich gegenüber aufgerissen, gebohrt, gehämmert – kurzum gelärmt wird. Wie man erst beruhigend zu sich selbst spricht: «Alles okay, das hört bestimmt gleich wieder auf. Du gewöhnst Dich daran. Achte einfach nicht darauf.» Und wie man dann nach Stunden, in denen es sich anfühlt, als würde sich der Presslufthammer direkt an der eigenen Gehirnrinde zu schaffen machen, nervlich am Ende ist und leise Stossgebete in Richtung Himmel schickt. «Bitte, lass es aufhören. Bitte, lass es doch ENDLICH AUFHÖREN; ICH HALTE ES NICHT MEHR AUS!»

Das nennt die Wissenschaft dann «Stadtstress». Eine leichtere Form von Stadtstress, um korrekt zu sein. Und der ist tatsächlich mitverantwortlich dafür, dass doppelt so viele Menschen aus Basel-Stadt eine Therapie in einer Psychiatrie brauchen als Leute aus anderen Schweizer Kantonen. Das belegt die Statistik – und die ist unbestechlich (solange sie nicht gefälscht ist…). Das Schweizerische Gesundheitsobservatorium, kurz «Obsan», als Autor der «zuverlässigen und unabhängigen Analyse zum Gesundheitssystem in der Schweiz für Bund und Kantone» meldet, dass von 1000 Einwohnern der Stadt Basel jährlich fast 21 Individuen wegen einer psychischen Erkrankung in einem Spital oder einer Psychiatrie behandelt werden. In Zürich – nur nebenbei – beträgt diese Quote lediglich 13, 7. Die Analyse des «Obsan» geht noch weiter. Sie belegt, dass die Basler sich 58 Prozent häufiger operieren lassen als die durchschnittlichen Schweizer. Im Schnitt liegt also jeder Basler pro Jahr 1,1 Tage im Spital. Kein Wunder zahlen Baslerinnen und Basler schweizweit die höchsten Krankenkassenprämien. In keinem anderen Kanton der Schweiz gehen Bewohnerinnen und Bewohner häufiger ins Krankenhaus. Alleine die Kosten für die Spitalaufenthalte der Baslerinnen und Basler belaufen sich auf über eine halbe Milliarde Franken jährlich!

Angesichts dieser Sachverhalte könnte man leicht annehmen, die Stadt – in diesem Fall Basel – mache die Leute krank. «Ja und Nein», meint Professorin Undine Lang von den Universitären Psychiatrischen Kliniken Basel. Die Stadt ziehe Menschen an, die ohnehin schon ein höheres Gesundheits-Risiko haben: Arbeitslose, Sozialhilfeempfänger, ältere Menschen und Ausländer. Dazu kommt – man höre und staune – ein nicht minder merkwürdiger wie banaler Grund, weshalb «Angeschlagene» den Gang in die Gesundheitsversorgung zu tun bereit sind: der kurze Anfahrtsweg! Tatsächlich. Eine Anfahrtszeit von über einer halben Stunde könne die Wahrscheinlichkeit eines Klinikbesuchs um bis zur Hälfte reduzieren, ist im «Obsan»-Bericht zu lesen.

Nun ist Basel ja beileibe nicht die einzige «Gross-Stadt» (mit Vorbehalt) in der Schweizerischen Eidgenossenschaft. Zürich, Genf und Bern bleiben indessen bei weitem hinter den Basler Rekordzahlen zurück. Was den Schluss nahelegt, dass der im Jahre 2000 für eine zweijährige Kampagne kreierte Slogan «Basel tickt anders» nach wie vor sowohl Gültigkeit als auch seine Berechtigung hat.

Ob Basel kranker ist als vergleichbare Städte dieser Grössenordnung, ist eine rein hypothetische Frage. Ankömmlinge auf dem Centralbahnplatz würden vielleicht sagen, Basel sei eine Spur gefährlicher als andere. Und vom Stress sprechen, der sie schon bei der Passage desselben befalle. Ihnen sei versichert, dass das Netz der Gesundheits- und Pflegeeinrichtungen in Basel so eng geflochten ist wie nirgendwo sonst.

Für eine fachgerechte Versorgung von auf dem Centralbahnplatz «Gestrandeten», Verunfallten oder Überstressten ist auf jeden Fall gesorgt.

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