2022, nach Russlands Einfall in sein Nachbarland, haben wir alle die Erfahrung gemacht, dass es unerwartet an täglich benötigten Produkten mangelte oder diese sogar gänzlich fehlten. 2022 war das Jahr der Lieferschwierigkeiten.
Unsere unscheinbare Euro-Palette ist ein gutes Beispiel dafür. Sie ist nun schon 62 Jahre alt. Und ohne siegeht in der weltweiten Logistik und im Welthandel nichts. Überhaupt nichts! Ihr Geburtsjahr 1961 war schon ereignisreich: mit Kosmonaut Juri Gagarin wagte sich erstmals ein Mensch kurzzeitig in das Weltall und die Berliner Mauer wurde am 13. August 1961 unter der Federführung eines gewissen Erich Honecker gebaut. Und in Frankreich kommt die Europalette (EUR-Palette) auf die Welt.
Seit damals hat sich unser Leben stark verändert. Die Raumfahrt hat sich weiterentwickelt. Die Berliner Mauer ist seit mehr als 30 Jahren verschwunden. Eine Konstante aber blieb die ganzen 62 Jahre in ihrem Aufbau und ihrer Erscheinung bestehen. Und sie zählt mit ihren den Standard prägenden Maßen von 800 mm x 1.200 mm x 144 mm zu den stillen Stars in der Welt; ist fast schon kulturelles Erbe.
Diese Holzpalette ist ein einfaches Gerüst und besteht lediglich aus 11 Brettern, 9 Klötzen und 78 Nägeln. Die Nägel sind speziell & zertifiziert. Die europäische Paletten-Vereinigung (EPAL) überwacht die gesamte Produktion, damit die Qualität gesichert wird.
Güter werden in China oder in den USA oder sonst irgendwo auf solche Paletten geladen. Sie werden dann auf diesen Paletten in die Schiffscontainer gehievt und in die Märkte und zum Endkunden gebracht. So simpel diese Holzpaletten auch sein mögen, so kompliziert wurde in den letzten Jahren deren Herstellung.
Erstes Problem ist nach wie vor das Holz. Weil in Europa und in den USA vermehrt gebaut wurde, das Holz aber wegen der Trockenheit und der Borkenkäferplage schon knapp war, schon stiegen die Preise für das Holz.
Zweites Problem waren die bekannten Corona-Wellen seit 2020. Die Lagerbestände wurden ausgebaut und damit wurden die für unseren Welthandel notwendigen Paletten in den Lagerhäusern blockiert. Und zusätzlich mussten noch tonnenweise Masken & Schutzmaterialien transportiert werden. Die Nachfrage stieg damit abermals. Die Preise stiegen gleich weiter.
Das dritte Problem ist der andauernde Krieg in der Ukraine. Denn die meisten Nägel für diese Paletten sind bisher aus russischem Stahl gefertigt worden. Dieser wurde aber mit weltweiten Sanktionen belegt. Ein Ersatz musste her. Ihr Preis stieg weiter. Der Preis einer Holzpalette glich in den letzten drei Jahren einer Achterbahnfahrt!
Wenn bereits diese einfache Palette mit zwei Komponenten bei Störungen durch drei sich überlagernde Probleme plötzlich nicht mehr gut & preiswert herstellbar ist, kann man ungefähr erahnen, was einfache Probleme für komplexere Produkte, wie z.B. für ein i-Phone mit seinen 1.049 Komponenten oder für ein anderes zusammengesetztes Produkt bedeuten könnten!
Der Grund für die genaue Normung der EUR-Palette war, dass die Paletten tauschbar sein sollten: wenn etwas geliefert wird, dann kann der Empfänger – was immer auch geliefert wird – auf diesen Paletten das Gelieferte stehen lassen – in seinem Lager – bis er es braucht und er gibt dem Lieferanten einfach leere Paletten zurück.
Es gibt so die Möglichkeit zu einer Art «E-Banking für Paletten», wo verzeichnet wird wer wem wie viele Paletten schuldet. Bis vor 4 Jahren war die Herstellung der Palette auch problemlos und eine Palette kostete rund 6.50 Euro im Jahr 2019.
Dann kamen die Probleme. Zuerst mit dem Holz. Dazu muss man wissen, woraus Paletten gemacht werden: beim Baumstamm gibt es den Kern, der wird gebraucht auf dem Bau und als Massivholz für Möbel und dann gibt es die Seitenware, das ist so etwas wie der «Rand des Baumstamms», es ist das billigere Holz. Und das wird normalerweise für Paletten gebraucht.
Nun passierten verschiedene Dinge gleichzeitig: einerseits gab es einen Bau-Boom in Europa, es wurde mehr mit Holz gebaut und anderseits bestellten auch die Amerikaner Holz in Europa. Und auf dem Bau wurde auch plötzlich noch die Seitenware gebraucht; also dieses schlechtere Holz, was vorher zu Sperrholz oder Platten verarbeitet wurde; und man hat jetzt auch dieses Holz eingesetzt. Das heisst, es gab da neben den Paletten-Herstellern noch andere Leute, die jetzt diese schlechtere Seitenware wollten. Bisher galt, dass wenn es auf dem Bau gut lief noch viel Seitenware übrig blieb für die Paletten-Hersteller. Das galt nun plötzlich nicht mehr.
Hinzu kam, dass in den Jahren 2017, 2018 und 2019 weniger Regen fiel. Sowohl in Europa wie auch in Nordamerika. Es gab Waldbrände. Der Borkenkäfer kam. Und das führte dazu, dass auch weniger Holz da war, das verarbeitet werden konnte, und dieses weniger Holz wollte dann auch die Bauwirtschaft. Die Paletten-Hersteller bekamen Konkurrenz. Angebot und Nachfrage spielten; der Preis für das Holz ging hoch und dann begann die Corona-Pandemie. Was passierte?
Plötzlich war auch zusätzlich noch ein Mehrbedarf nach Paletten da. Aus zwei Gründen. Einerseits war es so, dass die produzierenden und Ware verteilenden Unternehmen sehr nervös wurden und plötzlich viel mehr Waren & Produkte in ihre Lager stellen wollten, weil sie nicht wussten, wann ihre Lieferanten ihrerseits wieder liefern würden. Die Paletten dafür – für die Lager – waren dann wieder blockiert. Die standen in den Lagern, wurden eben nicht mehr getauscht und deshalb brauchte es insgesamt mehr Paletten als gewohnt.
Und der zweite Grund war, dass auch während der Pandemie viele Güter auf Paletten transportiert werden mussten. Unter anderem die ganzen Schutzmaterialien, Desinfektionsmittel und so weiter. Alles stand auf solchen Paletten.
Die Paletten-Hersteller hatten so das Glück, dass sie die höheren Preise, die sie – aus den oben genannten Gründen – für das Holz bezahlen mussten, jetzt weitergeben konnten. Das zeigte sich auch im Preis einer Palette: von 6.50 Euro in 2019 stieg er auf 22.00 Euro im Sommer 2020. Mehr als der 3-fache Preis innerhalb eines Jahres. Also in sehr kurzer Zeit.
Was passiert danach? Es kam zu einer Beruhigung auf dem Markt für Paletten. Das Ganze pendelte sich wieder ein und dann kam der 24. Februar 2021, der Einfall Russlands in die Ukraine. Die Zeitenwende.
Ein grosser Teil des Holzes – den die Paletten-Hersteller verarbeiteten – kam aus Russland und Weissrussland. Diese Länder fielen nun unter die Sanktionen der USA und der EU. Das hiess, es gab kein Holz mehr aus diesen Ländern. Dieses Holz musste ersetzt werden und die Paletten-Hersteller machten sich auf die Suche nach Holz von neuen Lieferanten.
Das war aber das kleinere Problem. Die Nägel für die Paletten wurden nun auch ein Problem. Das grössere Problem! Und damit hatte wirklich niemand gerechnet. Es gab auf dem Markt 3 grössere Lieferanten von Nägeln, in Italien, in Deutschland und in Polen. Und die Paletten-Hersteller dachten, dass wenn einer dieser Lieferanten ausfallen würde, die anderen beiden Lieferanten die notwendigen Nägel liefern könnten. Die Paletten-Hersteller wähnten sich so auf der sicheren Seite. Ein Irrglaube. Alle diese 3 Lieferanten hatten nämlich ihren Stahl für die Nägel aus Russland bezogen. Das war ein Klumpenrisiko, an welches wirklich niemand gedacht hatte, weil man sich mit 3 möglichen Lieferanten ja auf der sicheren Seite wähnte.
Dieser Stahl für die Nägel fehlte – wie bereits das Holz – weil auch der russische Stahl unter die bekannten Sanktionen der USA und der EU fiel.
Die Paletten-Hersteller begaben sich dann auf die Suche nach anderen Nägel-Produzenten. Und auch hier begann wieder das Spiel von Angebot & Nachfrage bei den Preisen für diese Nägel. Die Nachfrage stieg enorm. Alle waren auf der Suche nach Nägeln. Man muss dazu wissen, dass es sehr spezielle zertifizierte Nägel sind; man kann nicht irgendeinen Nagel brauchen für eine EUR-Palette. Es sprangen andere Hersteller ein, als die drei grossen Nagel-Hersteller. Aber innerhalb weniger Wochen kosteten diese Nägel das Dreifache wie bisher. Der Preis für eine Tonne Nägel (1000 kg) stieg von 1000 Euro auf etwa 3000 Euro.
Es kommt noch schlimmer für die Paletten-Hersteller! Zuerst waren ja die Probleme mit dem Holz. Dann kamen die Probleme mit den knappen teureren Nägeln. Und jetzt kamen wieder Probleme mit dem Holz, die aber anders gelagert waren. Wegen der Energiekrise kauften ganz normale Leute jetzt plötzlich Holz für ihre Schwedenöfen & Kamine. Der Preis für Holz-Pellets verdoppelte sich nun fast, so dass es sich mehr lohnte, die oben erwähnte Seitenware – dieses billige Holz – gerade direkt zu solchen Holz-Pellets zu verarbeiten und eben nicht die notwendigen Paletten daraus zu bauen.
Somit war nicht nur die Baubranche auf dem Holzmarkt der grosse Konkurrent für die Paletten-Hersteller. Sondern zusätzlich noch die Bevölkerung, die für das Heizen im Winter vorsorgen wollte.
Die Paletten-Hersteller hatten somit kaum Holz, dann teure Nägel, dann kam Corona, dann kam der Krieg – sie fuhren wirtschaftlich quasi «Achterbahn». Einerseits mussten sie jetzt ihre Lieferanten «pflegen», damit man eine gewisse Kontrolle hat und weiss, wer denn überhaupt die Lieferanten ihrer Lieferanten waren und sind, weil von denen abhängt ob nun Lieferungen kommen würden oder nicht. 3 Firmen in drei Ländern lieferten Nägel, aber alle bezogen für ihre Nägel denselben Stahl aus Russland. Man musste die Kette dieser Informationen haben.
Was tun?
Man muss mehr als bisher vorausschauen und in bisher undenkbaren Szenarien denken: was geschehen könnte und welche Produkte könnten knapp werden? Dabei reicht es nicht mehr aus, nur in das eigene Lager zu schauen um zu sehen welche Produkte langsam ausgehen könnten, sondern man muss vorausschauen wie z.B. die Grosswetterlage wird, wie die politische Lage in verschiedenen Lagern ist und werden könnte und wo es überhaupt auch noch knapp werden könnte bei sämtlichen Produktionsfaktoren.
Die EUR-Palette, die wir in unserem Alltag bisher kaum oder gar nicht beachtet haben, ist so massiv von der aktuellen Weltlage betroffen. Das wird sich so schnell auch nicht ändern. Man konnte bei diesem einfachen Produkt aus zwei Komponenten eben nicht sofort umstellen, in dem man für jeden Produzenten drei Ersatzproduzenten kalkulierte und drei Ersatzlieferanten ins Visier nahm.
Wir werden uns daran wohl zukünftig gewöhnen müssen, dass nicht mehr alles jederzeit zur Verfügung stehen wird.
Alles paletti.
Wortbedeutung von «Paletti» Quelle: https://www.redensartenindex.de/suche.php?suchbegriff=paletti&bool=relevanz&gawoe=an&sp0=rart_ou&sp1=rart_varianten_ou
Deutungsversuche beziehen sich auf das Italienische. Der erste schriftliche Beleg stammt wohl aus dem «Spiegel» von 1972. Das Blatt zitiert dort einen Pelzhändler, der Schlägertrupps beauftragt und anschließend zu einem Geschädigten gesagt haben soll: «Nimm den Strafantrag (wegen Körperverletzung) zurück, und alles ist paletti». Diese Redewendung soll in den 1960er Jahren auch in der Jugendsprache geläufig gewesen sein.