The King´s Speech

Auszeit mit

Die formelle Zeremonie ist seit Jahrhunderten dieselbe. Brauch und Sitte – auch in den vergangenen 59 Jahren, während des Regnums von Elisabeth II:

In der irischen Staats-Kutsche und unter Kavallerie-Begleitung fährt die Queen vom Buckingham Palast zum Parlament. Dort hat bereits die königliche Leibwache das Kellergewölbe nach Schiesspulver durchstöbert, damit sich nur ja nicht wiederhole, was vor 410 Jahren katholische Rebellen vergeblich versuchten: das Parlament mitsamt dem König in die Luft zu sprengen. Und solange die Königin nicht unversehrt in ihren Palast zurückgekehrt ist, wird ein Parlamentarier als Geisel im Buckingham Palast festgehalten. Tatsächlich auch heute noch…

Willkommen zum farbenprächtigsten Ereignis des britischen Parlamentsjahres.

Gegen Mittag – so will es das Protokoll – betritt die Monarchin den „Palace of Westminster“ durch den Eingang des Herrschers. Sie zieht den Hermelinumhang und die purpurne Samtschleppe über und setzt die „Imperial State Crown“ (die in einer eigenen Kutsche vom Tower nach Westminster gefahren wird) auf´s Haupt.

Dann nimmt Elizabeth die Zweite Platz auf ihrem Thron vor den Lords des Oberhauses und ihr Bote macht sich auf den Weg zum Unterhaus, um auch die gewählten Abgeordneten zu bitten, der Rede ihrer Majestät beizuwohnen. Um die Unabhängigkeit des Parlaments vom Monarchen zu demonstrieren, wird dem Boten erst mal die Tür vor der Nase zugeschlagen, an die er dann mit einem schwarzen Stab klopft. Möglichst wenig beflissen begeben sich schliesslich die Abgeordneten zum Eingang des „House of Lords“, wo die Queen das Programm ihrer Regierung verkündet.

Gestern fehlte bei diesem Tamtam wie schon 1959 und 1963, als sie aufgrund ihrer Schwangerschaften mit Prinz Andrew, beziehungsweise Prinz Edward auf ihren Auftritt verzichtete, die Hauptdarstellerin – „Her Majesty, The Queen“. Nur gerade ihre Krone schaffte es in den Thronsaal von Westminster. Gebettet auf einem weinroten Samtkissen, drapiert auf einem Guéridon. Leicht versetzt, links hinter den königlichen Preziosen auf einem thronähnlichen Gestühl, hat es sich (Kron-)Prinz Charles in prunkvoller Admiralsuniform gemütlich gemacht. Zusammen mit seinem Sohn, Prinz William (beide Mitglieder des vierköpfigen Kronrates), war Charlie über Nacht in aller Form bevollmächtigt worden, für die Thronrede der Queen einzuspringen. Die 96-jährige Elisabeth II entschuldigte ihr Fernbleiben mit „sporadischen Mobilitätsproblemen“. Was immer auch „sporadische Mobilitätsprobleme“ sein mögen.

Britische Medien nannten Prinz Charles´ Erscheinen eine „Zeitenwende in London“. Immerhin wird die Zeremonie rund um die Regierungserklärung jedes Jahr mit grossem Pomp begangen (siehe oben) und zählt zu den wichtigsten konstitutionellen Aufgaben der britischen Monarchie. Viktoria Howard, eine englische Historikerin, fand sogar heraus: „Dass mit Charles ein Thronfolger und nicht der Justizminister die Rede übernimmt, hat es noch nie gegeben.“

Es dürfte Prinz Charles nicht sonderlich schwergefallen sein, seine allererste Regierungserklärung, verfasst – natürlich – von Premierminister Boris „The Partyman“ Johnson, den aufmerksamen Abgeordneten vorzulesen. Nichts wird ihn an seinen Grossvater erinnert haben. An Prinz Albert, gebürtig Albert Frederick Arthur George of York, den späteren König George VI und Vater von Königin Elisabeth II, dessen erste vom Radio übertragene Ansprache auf der Abschlussveranstaltung der „British Empire Exhibition“ von 1925 zum absoluten Fiasko geworden war. Denn, Prinz Albert stotterte vaterländisch und tat das zeitlebens, obschon er vom australischen Sprachtherapeuten und Gelegenheits-Schauspieler Lionel Logue für seine grossen Auftritte und Reden erfolgreich therapiert und gecoacht werden konnte. Die Geschichte des nachmaligen „King George VI“ wurde vom britisch-australischen Regisseur Tom Hooper 2010 unter dem Titel „The King´s Speech“ erfolgreich verfilmt. So erfolgreich, dass der Streifen 2011 von der Academy gleich mit vier Oscars ausgezeichnet wurde – als bester Film, mit der besten Regie, dem besten Hauptdarsteller (Colin Firth) und mit dem besten Originaldrehbuch.

Prinz Charles, so melden es die Presse-Agenturen, kam gestern ohne Stotterer durch. Ob es ihn beim Verlesen von Johnsons Vorhaben nicht dennoch ab und zu gewürgt hat, ist nicht überliefert. Immerhin dürfte dem doch eher liberalen künftigen „Ober-Windsor“ gelegentlich die Luft weggeblieben sein – bei der Ankündigung von Massnahmen etwa, die demnächst Protestveranstaltungen unterbinden sollen, wenn diese „das öffentliche Leben stören“ – auch wenn sie gewaltlos ablaufen. Der Plan zielt vor allem darauf, Anti-Rassismus-Proteste, Demos gegen den Klimawandel und Aktionen gegen Flughafenerweiterungen oder neue Bahntrassen zu begrenzen.

Zuwiderhandeln soll dereinst mit Gefängnis bestraft werden können. Auch gegen „illegale Migranten“ will die Regierung Johnson zur „Sicherung der Grenzen“ in Zukunft rücksichtslos vorgehen.

Ja, in Britannien ist einiges in Bewegung. Die Queen kränkelt. Die Politik lässt sich von einem ungekämmten Querschläger gängeln. Nur an den Traditionen wird nicht gerüttelt. Darum wird auch die nächste Regierungserklärung von der Krone verlesen. Ob´s „The Queen´s“ oder „The King´s Speech“ wird… let´s see.

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