Ein “Heimetli am Sustenpass”

Auszeit mit

Mal angenommen, sie sind auf der Suche nach einer Immobilie… wofür gerade jetzt jedoch eigentlich nicht die Zeit ist. Aber egal. Sie lassen sich von den steigenden Preisen für Wohneigentum nicht schrecken. Und denken an ein Refugium für´s Alter. Sie haben auch schon etwas Schmuckes gefunden – ein Apartment bei Kitzbühel, angeboten von den Projekt-Verantwortlichen von «Six Senses Kitzbühel Alps» in Mittersill, Oberpinzgau. Sie deponieren ihr Interesse bei Michael Staininger, dem umtriebigen «Eigentümer, Entwickler und Marketing-Chef» (wie er sich selbst bezeichnet) des Projekts – und schon kann´s losgehen. Denkste. Ganz so schnell schiessen die Preussen nicht.

Zum Aufwärmen, sozusagen, poppen im Bereich des digitalen Anmeldeformulars ein paar Fragen auf. Zwölf an der Zahl. Die erste: «Wo würden sie lieber wohnen? In Kitzbühel oder in einem Naturschutzgebiet?» Bereits die dritte nähert sich sanft ihrem pekuniären Intimbereich: «Wieviel möchten sie zahlen?» Die möglichen Antworten – «multiple choice» in Reinkultur: 3 bis 6 Millionen, über 6 Millionen, über 10 Millionen. Aber auch ihre Weltanschauung ist den Verkäufern wichtig. Darum: «Sind sie eine spirituelle Persönlichkeit? A) ja, B) nein.» Oder: «Was ist ihnen wichtiger: A) ein Privatjet, B) eine Jacht oder C) ein langes Leben?» Jetzt drehen sie – bildlich gesprochen – vermutlich bereits nach dem initialen «Auf-den-Zahn-Fühlen» auf dem Absatz um. Und sie vertiefen sich wieder in´s «Heimetli am Sustenpass», das sie auf Homegate/Haus,Wohnung/Kauf ursprünglich angelacht hat. Das ist gut so. Den E-Porsche Taycan in veganer Ausstattung – Verkaufspreis ab 104´000 Franken(!) -, der potenziellen Käufern anfänglich als Gratis-Dreingabe den Mund hätte wässrig machen sollen, gibt es eh nicht mehr. Porsche zog den Rückzug aus der fragwürdigen Marketing-Aktion von “Six Senses Kitzbühel Alps” einer permanent und nachhaltig schlechten Presse vor.

Die ist Michael Staininger und seinem wahnwitzigen Projekt garantiert. Das «Six-Senses-Resort» am Fusse der Kitzbüheler Alpen gilt als eines der umstrittensten Immobilien-Projekte der vergangenen Jahre. Kritiker sprechen von einem «Weltuntergangsdorf» für Superreiche mit Zukunftsangst, Naturschützer bewerten das Bauvorhaben als Katastrophe.

Die Welt verändert sich. Das wird auf der Projekt-Webseite gnadenlos plakatiert. Zu sehen sind rauchende Fabrikschlote, Menschenmassen, Hochspannungs-Strommasten, Kinder am Handy. Dazu Schlagwörter wie Umweltverschmutzung, Überbevölkerung, soziale Isolation, Blackout, gentechnisch veränderte Lebensmittel, Virus. Leuten ohne finanzielle Sorgen, aber mit Zukunftsängsten, bieten die Schwadroneure um Staininger eine vermeintliche Lösung an: ein mondänes Resort mit 13 Villen, 37 Apartments und einem Fünfsternhotel mit 77 Zimmern und einem 3000-Quadratmeter-Spa. Es soll durch eine eigene Energie- und Wasserversorgung autark und nachhaltig sein. Geplant sind zudem ein Biogarten, ein Hühnerstall und ein wöchentlich stattfindender Bauernmarkt. Die Entwickler nennen ihr Projekt im Werbeversprechen «eine autarke Arche Noah, die den Fokus auf Unabhängigkeit und Sicherheit legt».

Der Tiroler Fotograf Lois Hechenblaikner, der sich seit Jahrzehnten mit den Auswüchsen des Massentourismus in den Alpen beschäftigt, übte beissende Kritik am Bewerbungsprozess der «Liga der Mehrbessern» und sprach von einer «scientologyhaften Vorauslese für Flachlandautisten». Hechenblaikner war es auch, der die Projektmanager eben erst ins Messer ihrer eigenen Unzulänglichkeit laufen liess und sie der Lächerlichkeit aussetzte. Staininger und seine Crew hatten das im Süden der Kitzbüheler Alpen angesiedelte Chaletdorf im Katalog mit einem Hintergrund-Bild von den Dolomiten beworben. Wie peinlich.

Nun, auch die eigene Doofheit lässt Immobilien-Buddies wie Michael Staininger nicht a priori scheitern. Nach dem Einstieg der deutschen Lindner-Gruppe (Umsatz ca 1 Milliarde Euro/Jahr) und einer mutmasslichen Finanzspritze von ebenda, sind auch zwischenzeitliche Gerüchte über eine Sistierung des Vorhabens verstummt. Interessenten für das 180-Millionen-Euro-Projekt gebe es ohnehin genug, hört man. Sie stammen zu 95 Prozent aus Österreich, Deutschland und der Schweiz. Und Verträge seien auch schon abgeschlossen worden… Ob die Käufer wissen, dass Herr Staininger auch punkto Idylle nicht ganz ehrlich kommuniziert? Das «natürliche Juwel» auf 1200 Metern über Meer, das in einem Werbevideo «als Heiligtum, in dem wilde Orchideen blühen» verkauft wird, muss nämlich hinter einer 4 Millionen Euro teuren Lärmschutzwand versteckt werden, um die Eigentümer und Hotelgäste vor der viel befahrenen Landstrasse von Kitzbühel zum Nordportal des Felbertauern-Tunnels zu schützen.

An der demonstrativen Zuversicht der Initianten ändert das alles nichts. «Wie viele dieser Zweifler und Missgönner noch übrig bleiben, wenn wir aufsperren – ich schätze, vielleicht einer», sagte Geschäftsführer Staininger kürzlich zu «Focus Online». «Aufgesperrt» werden soll im Dezember 2024. Auf der Website gibt es einen Countdown dazu. Die Verantwortlichen sind felsenfest überzeugt davon, dass sich die Welt auch hinsichtlich der projekt-kritischen Opposition rasant verändert. Sie nennen ihr Resort deshalb neu «Twic.garden». Twic ist die Abkürzung für: The world is changing.

Was auch unter diesem Namen niemals eine Alternative zum «Heimetli am Sustenpass» sein kann.

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