Witwen-/Witwerrente: Ungerechtigkeiten bei Hinterlassenenrente noch nicht beseitigt

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(Seegräben / ZH)(PPS) Frauen verdienen in einigen Branchen nach wie vor weniger als Männer mit vergleichbarer Qualifikation. Das ist nicht gerecht. Doch auch auf der anderen Seite herrscht trotz mehrerer parlamentarischer Vorstösse noch immer Ungerechtigkeit: Im Todesfall des Ehepartners erhalten Frauen bis zu ihrem 65. Lebensjahr eine Witwenrente der AHV – und das unabhängig davon, ob es gemeinsame Kinder gibt, sofern sie 5 Jahre mit dem Verstorbenen verheiratet waren und älter als 45 Jahre sind. Männer hingegen erhalten die Rente lediglich, bis das jüngste gemeinsame Kind 18 Jahre alt wird. Ein Missstand, der auch im Hinblick auf gleichgeschlechtliche Partnerschaften sowie Geschlechtsangleichungen überdacht und endlich an unsere moderne Gesellschaft angepasst werden sollte, findet Vorsorgeexperte Jasin Isik. 

Ungleichbehandlung im Todesfall: ein veraltetes Konzept

Die letzten bekannten Zahlen des Schweizer Bundesamts für Statistik sprechen von 2,76 Millionen erwerbstätigen Schweizer Männern und 2,33 Millionen erwerbstätigen Schweizer Frauen. Obwohl nur 38 Prozent der Frauen und damit deutlich weniger als bei den Männern in einem Vollzeitpensum arbeiten, rechtfertigten diese Zahlen bei Weitem nicht mehr die althergebrachten Standards bei der ungleichen Verteilung etwaiger Hinterlassenenrenten, meint Jasin Isik, Finanz- und Vorsorgeexperte der SuisseKasse GmbH mit Sitz in Zürich. 

Bei den BVG-Hinterlassenenleistungen wurde bereits reformiert: Durch die am 1. Januar 2005 in Kraft getretene 1. BVG-Revision sind Witwen und Witwer nun gleichgestellt. Entsprechend erhalten auch überlebenden Ehegatten eine dauerhafte Rente, wenn für gemeinsame Kinder gesorgt werden muss oder der Mann älter als 45 Jahre ist sowie die Ehe fünf Jahre oder länger gedauert hat.

Verstoß gegen die Europäische Menschenrechtskonvention

Tatsächlich hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte den Verlust des Anspruchs auf eine Witwerrente nach Erreichen der Volljährigkeit des jüngsten gemeinsamen Kindes als Verstoss gegen die Europäische Menschenrechtskonvention verurteilt, wenn im Gegenzug Witwen weiterhin Rentenleistungen erhalten. Doch trotz mehrerer Vorstösse im Bundesrat hat sich bis zum heutigen Tage nichts an dieser Ungleichbehandlung geändert.

Finanziell bedrohliche Szenarien für viele Männer

Der «SuisseKasse» Geschäftsführer erlebt in seiner täglichen Arbeit immer wieder Fälle, in denen Männer nach dem unerwarteten Tod der Partnerin in finanziell bedrohliche Lagen geraten – zum Beispiel, weil nicht die Partnerin, sondern der Mann in der modern geführten Ehe in Teilzeit gearbeitet hat, um sich der Kindererziehung zu widmen. Besonders prekär würde die Lage, wenn Männer nicht wieder in ein Vollzeitverhältnis einstiegen, weil sie davon ausgingen, dass das gemeinsame Einkommen ausreiche. 

«Problematisch ist zum einen die Tatsache, dass es auch für Männer mit zunehmendem Alter auf dem Arbeitsmarkt schwieriger wird. Zum anderen entstehen durch Pausen und Teilzeitarbeit enorme Vorsorgelücken, die katastrophale Folgen im Rentenalter nach sich ziehen können. Das gilt mittlerweile für Frauen ebenso wie für Männer. Eine teilweise Absicherung durch die Hinterbliebenenrente, wie sie Frauen gewährt wird, ist für Männer nicht vorgesehen. Das Geld fehlt entsprechend, um sich – einfach ausgedrückt – etwas zurücklegen zu können», sagt der Experte. «Natürlich spielt das individuelle Alter, zu dem der Schicksalsschlag eintritt, auch eine Rolle», so der Geschäftsführer weiter.

Ein Beispiel zur Verdeutlichung

Eine berufstätige Frau wird im Alter von 50 Jahren Witwe und hat Anspruch auf Witwenrente. Der verstorbene Ehepartner hatte zuletzt ein Gehalt von durchschnittlich CHF 60’270 pro Jahr. In diesem Fall stünden der Witwe die nächsten 15 Jahre monatlich CHF 1’662 an AHV-Witwenrente, zusätzlich zu ihrem regulären Einkommen, zu. Mit diesem Geld lässt sich nicht nur das Lohndefizit ausgleichen, sondern oftmals auch der zuvor gemeinsam erarbeitete Lebensstandard halten. Ein Mann, der im gleichen Alter Witwer wird, erhält nichts und muss die gemeinsamen Kosten (Hypotheken, Nebenkosten etc.) komplett vom eigenen Gehalt finanzieren.

Eingetragene Lebenspartnerschaften und Geschlechtsangleichungen

Genau wie die Gesellschaft zurecht mehr Gleichberechtigung bei den Löhnen fordert und die Rufe nach einer Anpassung der Witwen- bzw. Witwerrenten in «klassischen heterosexuellen Ehen» lauter werden, muss auch Fairness bei den immer häufiger werdenden eingetragenen Lebenspartnerschaften bzw. Ehen gleichgeschlechtlicher Paare herrschen. 

Finanzexperte Isik weiss: «Homosexuelle Ehepartnerinnen erhalten die gleiche Witwenrente wie Frauen in einer heterosexuellen ehelichen Gemeinschaft. Homosexuelle Männer werden in ihrer Partnerschaft oder Ehe hingegen diskriminiert. Denn hier gelten die gleichen Standards wie bei Männern in heterosexuellen Ehen.» 

Was Personen betrifft, die ihren Geschlechtseintrag anpassen lassen, herrsche maximale Verwirrung: Gesetzliche Grundlagen fehlten komplett, erklärt der Zürcher Experte. 

Gesetzgeber mit Vorbildfunktion

Isik stellt klar: «Früher mag es gerecht gewesen sein, dass Frauen einen erweiterten Anspruch auf Leistungen im Todesfall des Ehepartners hatten. Viele waren ungelernt und hatten auf dem Arbeitsmarkt schlechte Chancen. Heute sieht das glücklicherweise anders aus. Obwohl die Gleichbehandlung von Frauen, Männern und Personen, die sich keinem dieser Geschlechter zuordnen können oder ihr Geschlecht angleichen lassen, noch nicht dort angekommen ist, wo

sie hin sollte, sind wir gesellschaftlich auf einem guten Weg. Der Bund sollte hier allerdings seine Hausaufgaben machen und mit gutem Beispiel vorangehen und gleiche Standards für alle schaffen.»

Dabei müsse Isik zufolge nicht zwingend für alle das gelten, was aktuell für Frauen gilt: Da die Rentenleistungen auch finanziert werden müssten, könnte laut Isik eine generelle Anpassung der maximalen Hinterlassenenrentendauer, die dann aber gleichermassen für alle gelte, einen gemeinsamen Nenner für die AHV und deren Versicherte darstellen. Im Zweifel dürfe auch über eine moderate Anhebung der AHV-Beiträge nachgedacht werden, um die Finanzierung eines fairen Sozialsystems sicherzustellen. Ergänzt werden müsse die Gleichbehandlung bei den Witwen-/Witwerrenten durch (noch) mehr Lohngerechtigkeit.

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