Rousseau und das Hamsterrad

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Close up photo of unrecognizable man exercising on treadmill in the gym, selective focus
Auszeit mit

Kalendersprüche… die kennen sie sicher. Ich bin heute mal wieder auf einen des Genfer Schriftstellers und Philosophen Jean-Jacques Rousseau (1712-1778) gestossen.

Exakt – Rousseau war der mit dem Pygmalion. Diesem Melodram vom Bildhauer Pygmalion, der sich unglücklich in eine seiner Statuen verliebt, bis die Göttin Venus, das ist die der Liebe und der Schönheit, sich seiner erbarmt und die Statue lebendig macht. Wobei, der Kern meiner Begegnung mit Rousseau war ganz ein anderer. Der heutige Kalenderspruch eben.

Die Freiheit des Menschen liegt nicht darin, dass er tun kann, was er will, sondern dass er nicht tun muss, was er nicht will.

Eigentlich hatte ich das Intermezzo mit dem südwest-schweizer Philosophen längst geistig ad acta gelegt, als es sich «aus dem Off» sozusagen unvermittelt wieder in den Vordergrund drängte. Neben mir wetterten zwei Yuppies in Hugo-Boss-Outfit und blauem Binder über das Hamsterrad, in das sie demnächst wieder einsteigen müssten. Ja, sie betonten deutlich das «Müssen»…

Ganz nebenbei: gut möglich, dass sie keine Yuppies waren, die Zwei. Des Begriffs nicht würdig, der da ein Akronym ist und für das englische young urban professional steht. Yuppies sind daher junge karrierebewusste, grossstädtische Menschen. Und die reden – nach meinem Empfinden – auf dem Weg zur Arbeit bestimmt nicht von der Rückkehr ins Hamsterrad. Es sei denn, ihr Blickwinkel weicht in Nuancen von meinem ab, und es präsentiert sich für sie das Hamsterrad von innen wie eine Karriereleiter. Nicht ganz ausgeschlossen…

Da kam mir also wieder Rousseau in den Sinn. Und die Freiheit des Menschen, nicht tun zu müssen, was er nicht tun will. Ob die beiden Rousseau auch kennen? Fraglich, eher nein. Und so werden sie bei der Arbeit dennoch wohl das getan haben, was sie eigentlich nicht wollten. Das ist anzunehmen.

Es würde mich deshalb auch – mit Verlaub – nicht wirklich erstaunen, wenn ich sie nach Feierabend im Fitness-Center antreffen würde. Auf dem Laufband selbstverständlich. Der neuzeitlich ausgelegten Variante des Hamsterrades. Dafür, dass sie wenigstens dessen Geschwindigkeit selbst bestimmen dürfen, bezahlen sie dann sogar noch etwas.

Was sagt uns das?

Es gibt heutzutage tatsächlich Menschen, die (gern oder nicht – nicht Gewünschtes bitte streichen) dafür zahlen, dass sie an Ort treten (oder laufen) dürfen. Echt uncool. Oder nicht?

Sie sollten sich vorzugsweise die dunkle Geschichte des Laufbandes, dieses Hamsterrad-Pendants, zu Gemüte führen. Sie würden auf einen Mann namens William Cubitt stossen. Auf einen englischen Ingenieur, der 1817 in einem Gefängnis zuschaute, wie die Insassen entspannt herumsassen. Und er befand, es müsse ein Gegenstand her, der diese Kriminellen reformiere, indem sie die Gewohnheit des Fleisses lernten. Kurzum erschuf Mr. Cubitt ein Tretwerk – die tread-mill genannt. In ihrer Blüte wurden die aus der «Tretmühle» entstandenen Laufbänder in mehr als der Hälfte aller Gefängnisse in England, Wales und Schottland eingebaut. Die Briten glaubten nämlich, die harte Arbeit auf den Laufbändern würde das Rückfallrisiko erheblich mindern – und nutzten diese  Bestrafungsart auch fürs Gemeinwohl: die Treter mussten damit Mais mahlen oder Wasserpumpen betreiben.

Als Analogieschluss angedacht: ob all die Fitness-Centers zwischen Palermo und Hammerfest den – sicher erheblichen – Energie-Überschuss, der auf ihren Laufbändern Tag für Tag produziert wird, in die öffentliche Stromversorgung einspeisen?

Noch ist diesbezüglich nichts Konkretes bekannt. Und doch müssten die Fitness-Club-Betreiber eigentlich längst über gescheite Nutzungsmodelle nachdenken.  Aber eben…

…es deutet alles darauf hin, dass sie – die Betrei

ber nämlich – sich mit Jean-Jacques Rousseau sehr gut auskennen. Die Freiheit des Menschen liegt – eben gerade – darin,…dass er nicht tun muss, was er nicht will!

Peter Zwicky

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