Ja! Es gibt wirklich hochinteressantes Neues von denen.
Obwohl sie schon ganz ganz lange nicht mehr unter uns sind. Aber immer noch ein wenig in uns. Inoffiziell zumindest.
Denn, die bekannten strichartigen Zeichnungen in einer einstmals seit Jahrtausenden verschlossenen Höhle im französischen La Roche-Cotard stammen nun wohl doch vom Neandertaler.
Das zeigen jüngste Forschungsarbeiten der Basler Archäologin Dorota Wojtczak, die zusammen mit einem Forschungsteam aus Frankreich und aus Dänemark im französischen Untergrund wieder mal unterwegs war.
Die Neuigkeit: der Neandertaler war demnach der erste Mensch mit einem Verständnis für Kunst!
Wer hätte das gedacht.
Aber wer waren eigentlich diese Neandertaler?
Deren Geschichte ist faszinierend und zugleich geheimnisvoll. Diese Frühmenschen lebten über einen Zeitraum von etwa 400.000 Jahren in Teilen Europas und Westasiens, bis sie vor etwa 40.000 Jahren dann eher rasch ausstarben.
Sie wurden erstmals im Neandertal in Deutschland entdeckt, was so ihren Namen prägte.
Die Neandertaler waren anatomisch robuste Wesen mit einer angepassten Physiologie für das Leben in einer eiszeitlichen Umgebung. Sie hatten kräftige Körper, eine charakteristische große Nasenöffnung, die vermutlich half, kältere Luft aufzuwärmen, und sie verwendeten Werkzeuge aus Stein und anderen Materialien.
Obwohl lange Zeit angenommen wurde, dass Neandertaler primitive Jäger & Sammler waren, deuten nun die neuere Forschungsarbeiten darauf hin, dass sie durchaus komplexe Werkzeugkulturen und gewisse soziale Strukturen hatten.
Sie stellten Steinwerkzeuge her, beherrschten das Feuermachen und lebten möglicherweise in Gruppen oder Familienverbänden.
Eine der großen Fragen ist, wie und warum die Neandertaler dann rasch ausstarben.
Es gibt verschiedene Theorien, darunter die Konkurrenz mit dem modernen Menschen (Homo sapiens), dem damaligen Klimawandel, den damaligen Krankheiten und eine Kombination aus diesen und anderen verschiedenen Faktoren.
Die genaue Beziehung zwischen den Neandertalern und den modernen Menschen ist ebenfalls ein Forschungsschwerpunkt. Warum?
Es gibt Hinweise darauf, dass es zu einer gewissen genetischen Vermischung zwischen ihnen kam, da viele moderne Menschen Spuren von Neandertaler-DNA in ihrem Genom tragen.
Ist wohl nicht zu leugnen.
Die Geschichte dieser Neandertaler ist somit insgesamt ein faszinierendes Kapitel in der Entwicklung der menschlichen Spezies. Forscher setzen deshalb ihre Bemühungen fort, um mehr über ihr Verhalten, ihre Kultur und ihren raschen Untergang herauszufinden.
Als der französische Archäologe Jean-Claude Marquet im Jahr 1974 die Höhle La Roche-Cotard im Loire-Tal zum ersten Mal betrat, stieg eine Vermutung in ihm auf: die feinen strichartigen Spuren an der Wand könnten doch menschlichen Ursprungs sein.
Ebenfalls von ihm gefundene Schaber, Spitzen und gezähnte Stücke – alles so genannte Steinartefakte des Moustériens – deuteten auf die Neandertaler als Benutzer der Höhle hin. Waren diese Wandspuren nun schon Beweise für frühe künstlerische Aktivitäten der Neandertaler?
Es wäre ja ein Bruch mit der damaligen Lehrmeinung gewesen, die dem homo neanderthalensis höhere kognitive Fähigkeiten weitgehend absprach.
Der Höhlenforscher Marquet geriet in kognitive Dissonanz. Aus Angst, seine Vermutung nicht genügend wissenschaftlich untermauern zu können, sperrte der Archäologe Marquet die Höhle wieder zu und lies sie dann mehr als 40 Jahre lang ruhen.
Zusammen mit einem internationalen Team wagte er dann im Jahr 2016 einen erneuten Versuch. Mit dabei war nun Frau Dr. Dorota Wojtczak von der Integrativen Prähistorischen und Naturwissenschaftlichen Archäologie (IPNA) am Departement Umweltwissenschaften der Universität Basel, eine ausgewiesene Spezialistin für archäologische Gebrauchsspuren.
«Unsere Aufgabe war es, mit modernen Methoden den menschlichen Ursprung dieser Wandgravuren zu beweisen.», erzählt Frau Wojtczak in ihrem Büro an der IPNA.
Zuerst mit Fotos & Zeichnungen und später mit einem 3D-Scanner wurden die Wandspuren im Tuffstein der Höhlenwand sehr akribisch erfasst. Diese Aufzeichnungen aus der Höhle verglich Frau Wojtczak dann hier vor Ort in ihrem Labor an der Uni Basel mit Tuffstein, den sie selber experimentell mit Werkzeugen aus Holz, Knochen, Stein oder einfach mit den Händen bearbeitet hatte.
«Diese Untersuchungen zeigten eindeutig, dass die Höhlenspuren nicht mit Werkzeugen, sondern durch Kratzen mit menschlichen Fingern entstanden sein müssen.», schlussfolgert Frau Wojtczak.
Gleichzeitig zeigten die Untersuchungen der Höhlensedimente von Forscherinnen aus Dänemark, dass die Höhle bis zu ihrer Wiederentdeckung über 50’000 Jahre lang durch Schlammrückstände der Loire und Bodensedimente verschlossen gewesen sein muss.
Genau das macht dieses Höhlensystem von La Roche-Cotard zu einem ganz besonderen Ort, zu einer Art Zeitkapsel.
«Zu dieser Zeit vor 50’000 Jahren gab es in Europa noch keine modernen Menschen, sondern nur die Neandertaler.», sagt Frau Wojtczak.
Die Wandspuren und Artefakte können daher nur von diesen Frühmenschen stammen!
Die klaren geometrischen Formen von parallelen Linien und Dreieckslinien deuten auf Zeichnungen hin, die nicht zufällig in die Wand gekritzelt wurden. Was sie darstellen, weiss die Spurenforscherin zwar noch nicht.
«Es kann aber nur von einem Menschen angefertigt worden sein, der mit Planung und Verstand operiert hat.», sagt sie.
Ob es tatsächlich Kunst oder eine Form der Informationsaufzeichnung gewesen ist, sei hier eine Frage der Interpretation.
Die Höhle birgt viele weitere archäologische Geheimnisse.
Der Archäologe Jean-Claude Marquet hat nämlich bereits 1976 ein Objekt gefunden, das aussieht wie das Gesicht eines Menschen oder das eines Tieres.
Die Untersuchungen der Gebrauchspuren von Frau Wojtczak deuten auch hier auf ein von Menschenhand geformtes Objekt hin.
Ein weiteres Objekt aus der Höhle erinnert an eine kleine Öllampe.
«Spezialisten untersuchen derzeit, ob Pigmente oder Russstoffe daran zu finden sind, um vielleicht den damaligen Brennstoff bestimmen zu können.», erklärt Forscherin Wojtczak.
Der bisher erforschte Teil von La Roche-Cotard gehört zu einem ganzen Höhlensystem. Insbesondere von Höhle Nummer 4, die noch weitgehend von Sedimenten verschlossen ist, erhofft sich die Forscherin weitere Erkenntnisse zum Wirken der Neandertaler vor uns.
Jede Untersuchung, so ist Frau Wojtczak überzeugt, werde die althergebrachte Lehrmeinung vom Neandertaler als geistig minderbemitteltem Menschen revidieren!
Der Neandertaler sei eher so etwas wie der Cousin des modernen Menschen gewesen.
«Er konnte sprechen und wahrscheinlich hat er sogar gesungen.», meint sie schmunzelnd.
Wer sich genauer über unseren Cousin informieren will: hier der Link zu einem schönen Film auf ARTE: https://www.arte.tv/de/videos/102285-000-A/der-neandertaler-erster-kuenstler-der-menschheit/
Quelle: Jean-Claude Marquet et al.
The earliest unambigous Neanderthal engravings on cave walls: La Roche-Cotard, Loire Valley, France, PLOS One (2023), doi: 10.1371/journal.pone.0286568
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