Lieber Briefkastenonkel…

Neuerdings deckt mich meine Krankenkasse in regelmässigen Abständen mit – wie sie es nennt – Ratgebern ein. Zuletzt mit einem solchen über das Gewicht. Nach der neuesten Folge von „Germany´s next Top-Model“ nahm ich mir den „Ratgeber Gewicht“ als Bettlektüre zur Brust, und – was unvermeidbar schien, traf mich denn auch mit voller Härte: ich träumte von Übergewicht und davon, dass in Brasilien jetzt Gräber in Übergrösse eigens für bis zu 500 kg schwere Verstorbene angeboten werden. Als ich dann frühmorgens meinen Body Mass Index errechnete, fiel ich fast vom Hocker… mit einem Wert von 28,7 befinde ich mich doch tatsächlich in der Vorstufe zum Übergewicht.

Zu welcher Diät würden Sie mir raten?

     S.G.

Liebe Frau G.

Zu Ihren TV-Gewohnheiten werde ich mich später noch äussern, und eine spezifische Diät werde ich Ihnen nicht verordnen können, da ich kein Ernährungsberater bin. Was jedoch ihren Traum betrifft, ist zu sagen, dass Brasilien in der Tat sogenannte XXL-Gräber eingeführt und damit auf die zunehmende Fettleibigkeit der Bevölkerung reagiert hat. Dass Sie mit einem BMI von knapp unter 29 die Kriterien für die „Vorstufe zum Übergewicht“ erfüllen, ist zwar ein unverrückbarer Fakt, doch kann diesem mit ein paar wenigen Apropos das ganz grosse Grauen genommen werden.

Schauen Sie, allein ihr Gedärm wiegt rund 2 Kilogramm. Weitere 300 Gramm steuert Ihr Herz zum Gesamtgewicht bei, 1 Kilogramm Ihre Lunge, und – nicht zu unterschätzen – etwa 1,3 Kilogramm Ihr Gehirn. Das sind doch schon mal erhebliche knapp 5 Kilogramm, die Ihren BMI beeinflussen, ohne wirklich auf Ihre Hüften zu schlagen. Auch die 12 Prozent, mit denen Ihr Skelett – die Knochen also – an der Gesamtsumme Ihres Körpergewichts seinen Beitrag leistet, machen Ihre Figur nicht aus. Und schliesslich schlägt alleine die Haut des Menschen mit 20 Prozent Gewichtsanteil zu Buche.

Sie sehen, die ganz grossen und lauten Alarmglocken sollten bei Ihnen jetzt nicht zu läuten beginnen. Zumal wenn Sie einen gewissen Bildungs-Status haben. Die Sozioökonomie lehrt uns nämlich, dass je niedriger der soziale Status eines Individuums ist, desto höher erscheint das Risiko für Übergewicht. Wobei die Bildung das Gewicht klar stärker beeinflusst als das Einkommen oder die Berufsklasse. Unterschiede gibt aus auch zwischen den Geschlechtern: der Einfluss der Bildung auf das Körpergewicht ist bei Frauen deutlich grösser als bei Männern.

Und die Männer, geschätzte Frau G., pflegen sich – zieht man empirische Untersuchungen zu Rate – weit weniger häufig „Germany´s next Top-Model“ anzusehen als Frauen derselben Bildungsstufe. Nachgewiesen ist auch, dass der Anblick der dürren Hüftschwenker-Truppe von Frau Klum Kaulitz eine Vielzahl der televisionären Voyeuristen-Gemeinde, die – auch das ist verbrieft – den beachtlichen Anteil von 85 Prozent weiblicher Gefolgschaft ausweist, nicht selten mit massiven Minderwertigkeits-Gefühlen zurücklässt. Was sich bis zu gelegentlichen Schlafstörungen auswachsen kann. Und Schlafmangel wiederum beeinflusst die Hormone (was Ihnen übrigens jeder Mediziner bestätigt). Dadurch verändert er den Stoffwechsel und die Regulation von Hunger und Sättigung. Ausserdem führt er zu Heisshungerattacken. Dazu kommt, dass Betroffene tagsüber häufig müde sind und sich deshalb nicht dazu motivieren können, sich zu bewegen.

Sie neigen gar zu Stress-Symptomen. Die Stress-Hyperphagiker beispielsweise – auch Stress-Esser genannt – verspüren vermehrt Lust auf Zucker und Kohlehydrate.

Spezialisten raten, sich nicht von Idealen leiten zu lassen, die insbesondere das Fernsehen mit seinen zahlreichen Beiträgen zur „Körperkultur“ plakatiert. Blinder Nachahm-Eifer könnte durchaus in eine Lebenskrise führen. Zu Ihrer Beruhigung, Frau G. – auch dafür hat Ihre Krankasse an Sie gedacht. Mit dem Ratgeber Nummer 10 zum Thema „Depression“.

Kommentieren Sie den Artikel

Bitte geben Sie Ihren Kommentar ein!
Bitte geben Sie hier Ihren Namen ein