Frohe Weihnachten

Auszeit mit

Mein Freund Roli M. aus Ladir, Graubünden, ist eigentlich ein durchaus friedfertiger und gemütlicher Zeitgenosse. Ich nenne ihn immer einen Vorzeige-Philanthropen. Den bringt so schnell nichts aus der Ruhe, den ehemaligen Kommilitonen an der Philosophisch-Historischen Fakultät der Universität Basel. Ja, das war damals, als die Studierenden noch einen mittleren IQ vorweisen mussten, und nicht der unbedingte Wille ehrgeiziger Eltern aus einem «Pimpf» einen Studenten machen konnte. Aber lassen wir das.

Zurück zu meinem Freund aus Ladir.

Ladir?

Ihre Frage ist berechtigt. Wie kommt ein Lizenziat der Germanistik und der Geschichte dazu, sich in ein 113-Seelen-Kaff in der Surselva, wo es noch nicht einmal eine Schule gibt, zu verschanzen? Zur Information: Ein Lizenziat (auch Lizentiat; von lateinisch «licentiatus» abgeleitet, abgekürzt lic.) ist der Inhaber einer akademischen «Licentia docendi» (Erlaubnis zu lehren). Es ist zudem ein akademischer Grad, der ursprünglich im Anschluss an das «Bakkalaureat und dann teils als Vorbedingung für den «Magister» oder ein «Doktorat» erworben wurde (Wikipedia).

Zurück zur Flucht meines Freundes aus einer beschaulichen Basler Männer-WG in die unwirtliche Weite des Bündner Rheintals. Kurzum, es lockte ihn die Chance, in einer bedeutungslosen «Fraktion» der Gemeinde Ilanz/Glion eine Herberge zu betreiben, weitab vom Rummel der Grossstadt. Es gab sie also tatsächlich schon damals – in grauer Vorzeit, die Aussteiger, die sich als Quereinsteiger versuchen. Als friedfertiger und gemütlicher Philanthrop war er natürlich die unwidersprochen beste Besetzung als Patron des 10-Zimmer-Hostels.

Warum ich meinen friedfertigen Kumpel zum Thema mache?

Ganz einfach, weil ich ihn ermutigte hatte, während seiner «off season» (die noch bis Weihnachten dauert) mal wieder nach Basel zu kommen. Jetzt, da die festliche Beleuchtung Besinnlichkeit vorgaukelt, und ein Weihnachtsmarkt alles Unnütze anbietet, das an der Herbstmesse (vor vier Wochen erst) nicht hat an Mann und Frau gebracht werden können. Sei’s drum… Mit ein paar Tassen Glühwein in der Birne sieht man das alles nicht mehr so kritisch!

Roli M. entschied sich dann auch, meiner Einladung Folge zu leisten. Nicht, ohne sich zuvor auf der Homepage des Kantons über die Stadt aufzuschlauen, die er in seiner Erinnerung als Bijou gespeichert hatte. Da las er also von «Basel – der kleinen Weltstadt». Und sie erschien ihm wieder, die Hundertschaft wehklagender Kleingeister, die sich bei jeder Gelegenheit bemühen, sich im Vergleich mit anderen Grossstädten Anerkennung zu verschaffen. Was – by the way – mit der überraschenden Nicht-Wahl der Basler Bundesrats-Kandidatin Eva Herzog (SP) erneut nicht wunschgemäss gelungen ist. Roli M. scrollte weiter und blieb beim Titel «Die Shopping City Basel» hängen. Dabei beim Bild von zwei Girls beim Small Talk in der Freien Strasse, auf der Höhe von «Kost Sport» und «Spira». Roli M. schätzt Familien-Betriebe. Er nahm sich deshalb vor, mal wieder bei «Spira» und «Kost Sport» reinzuschauen. Die Präsentation der Basler Einkaufsmeile weckte sein Interesse. Da lässt uns der Kanton wissen:

«Freie Strasse – Die Freie Strasse ist die Top-Adresse in Basel und bis über die Grenzen bekannt für ihr grossartiges Angebot. Hier reihen sich Internationale Brands wie «Apple», «Lacoste», «Cos» «H&M», «Zara», «Zara Home», «Massimo Dutti» etc. aneinander und verleihen der Strasse den Glanz, für welchen sie geliebt wird.»

Dumm nur, dass «Kost Sport». «Spira», «Zara Home»,  «Massimo Dutti » und andere ihre Geschäfte längst aufgegeben haben und die Freie Strasse den Anstrich eines Tummelplatzes für Strassenbau-Lehrlinge impliziert. «Wenn ich das gewusst hätte», herrschte mich Roli M. an, als er schnaubend bei mir im dritten Stock angekommen war. Okay – vielleicht hätte ich ihm sagen müssen, was die unfähigen Stadtplaner und die Schwurbler vom «StadtKonzeptBasel» aus der beschaulichen Rhein-Metropole mit Grossstadt-Charme in den letzten Jahren gemacht haben. Dass die Kommunikations-Verantwortlichen im Basler Rathaus ihre Web-Seite mit einem mindestens zehn Jahre alten «Föteli» der Freien Strasse schmücken, passt ins Bild der städtischen Politik, die verzweifelt versucht, ein Image zu schaffen, das zwar ihren Wünschen, nicht aber der Realität entspricht. Ihre Wahrnehmung beschränkt sich vermutlich auf die Zehntausenden, die am verkaufsoffenen Sonntag die Stadt (über-)füllen, die Läden – übrigens die, die überall auf er Welt dieselben sind – fluten und alles von den Regalen abräumen, was nicht angezurrt ist. Die Kaufsüchtigen interessiert es im Übrigen nicht, ob der «Apple Store» in Basel steht, oder in Lörrach oder in Castrop-Rauxel. Dass sich die Basler Stadt-Fuzzis da ja nichts vormachen. Wenn nach Weihnachten in der Freien Strasse die Presslufthämmer wieder niedergehen und die Schaufelbagger auffahren, wenn alles vor den Festtagen Gekaufte wieder zurückgegeben und umgetauscht ist, dann fliessen die Konsumenten-Ströme wieder zu Aldi nach Weil am Rhein oder zu Lidl nach Grenzach. Dann bringt das Januar-Loch die Kaufsüchtigen zur Besinnung und die Betreiber der Läden in der Stadt rechnen hundertfach durch, ob der dürftige Umsatz zur Deckung der exorbitanten Miete reicht. Vermutlich werden auch 2023 verschiedene Anbieter zwischen Bankverein und Marktplatz ihre Segel streichen müssen. Weil es weder der Basler Politik noch dem selbstherrlichen StadtKonzeptBasel gelingen wird, auf die inakzeptablen Bedingungen der skrupellosen Immobilien-Spekulanten einzuwirken. Es wird immer irgendwelche «Multis» geben, deren Mischrechnung auch mit einem «Laden» an bester Basler Lage aufgeht. Das lokale Gewerbe wird zunehmend zur «Quantité négligeable». Und die immer und überall gleichen «Mega Stores» «verleihen der Strasse den Glanz, für welchen sie geliebt wird» (Webseite Kanton Basel-Stadt). Wenn das nicht zum Lachen ist…

Mein Freund Roli M. ist aufgebracht. Er meint, Basel habe endgültig seine Unschuld verloren. Kommerz so weit das Auge reicht. Nichts mehr von der Unverwechselbarkeit früherer Tage. Kunststück – Basel, «die kleine Weltstadt» orientiert sich nicht an der Sentimentalität der Ewiggestrigen. Gigantismus ist die Losung. Dafür nimmt man schon mal eine vierjährige Bauzeit für den Quarzsandsteinplatten-Wahnsinn in der Freien Strasse in Kauf. Roli M. zieht dieser Idiotie die in zwei Tagen erledigte Neuteerung der Dorfstrasse von Ladir vor.

In diesem Sinne: Frohe Weihnachten…

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