Aufmerksamkeit im “Informations-Meer” erwecken

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In diesem Jahr sind hierzulande mal wieder Parlamentswahlen. Am 22. Oktober 2023 wird über die Kandidatinnen & Kandidaten für den Ständerat und für den Nationalrat landesweit abgestimmt. Und in gut 3 Wochen ist dafür schon der Anmeldeschluss.

Wer bei solchen Wahlen die notwendigen Stimmen gewinnen und auf sich vereinigen will, muss sich in den sozialen Medien zeigen und dabei zugleich wirksam inszenieren. 

Warum?

Weil sich inzwischen vor allem die jungen Menschen und jung gebliebenen IT-affinen älteren Menschen über die üblichen social media-Kanäle politisch informieren. 

Hier ermöglichen es vor allem Instagram (abgekürzt «Insta»), Twitter, Facebook & Co. diesen Politikerinnen & Politikern, in einen direkten Austausch mit ihren potenziellen Wählerinnen & Wählern zu treten. Sie können Informationen nämlich selbst verbreiten und müssen nicht mehr allein den eingeprobten einstmals üblichen Weg über die klassischen Medien nehmen. 

Somit können sie jene Version ihrer selbst präsentieren, die sie wollen und laufen nicht in die Gefahr redaktionell zerfasert oder verfremdet zu werden.

Ein Beispiel: die 43-jährige Berner SP-Politikerin Flavia Wasserfallen präsentiert sich primär auf Instagram. In einem Video plädierte sie in der ARENA – einer Diskussionssendung des Schweizer Fernsehens – für ein Nein zur AHV-Reform. 

Ein Foto zeigte sie in ihren Ferien beim Yoga und dahinter sah man Meer und schöne mediterrane Pflanzen. Auf einem anderen Foto stand sie am Pult vor einer Festgemeinde auf dem Land und hielt eine Rede zum Nationalfeiertag 1. August. Auf weiteren Fotos war sie im Shirt der Schweizer Fussballnationalmannschaft und beim Langlaufen in den Bergen zu sehen. 

Solche Beiträge – im Alltagsdeutsch inzwischen «posts» genannt – sind ein Streifzug durch ihre politischen Statements und ihre persönlichen Alltagserlebnisse und vermitteln schon mal einen Eindruck von Seriosität, Überzeugung und einer gewissen Lockerheit zugleich.

Es beschreibt die Politikwissenschaftlerin Frau Prof. Stefanie Bailer von der Universität Basel gemeinsam mit Nathalie Giger & Maxime Walder von der Universität Genf in einem kürzlich erschienenen Fachartikel, wie und mit welchem Erfolg sich Politikerinnen und Politiker in unseren social media inzwischen präsentierten.

Anhand von Umfragen in der Schweiz, Deutschland, Frankreich, Belgien, den Niederlanden, Polen und dem Vereinten Königreich zeigte deren Untersuchung, dass es zu einem klaren Abzug in der Gunst der Wählerschaft führte, wenn Politikerinnen & Politiker social media nicht oder eher sehr sparsam benutzten.

In einer anderen Studie zeigten die Autorinnen aber auch, dass Politikerinnen & Politiker nicht gleich «automatisch» beliebter sind, wenn sie ein Profil auf den sozialen Medien unterhalten und pflegen. Denn, es käme sehr auf die Art und Weise an, wie sie ihr Verhalten und ihre Persönlichkeit den wählenden Stimmbürgern vermitteln würden.

Zum Beispiel auf Twitter: im Zuge von Umfragen und Analysen konnte Frau Prof. Bailer gemeinsam mit anderen Forschenden zeigen, dass Wählerinnen & Wähler weniger an privaten «tweet»-Inhalten interessiert sind, mehr jedoch an politischen Themen, in die sie durch Diskussionen in den Kommentaren miteinbezogen werden.

Twitter machte den Forschenden die Datenerhebung vergleichsweise leicht, da sie die Daten dort in grosser Anzahl herunterladen konnten. «Daher haben wir uns auf diese Plattform fokussiert», sagt Projektleiterin Stefanie Bailer. «Bei Facebook und Instagram hingegen wird die Arbeit dadurch erschwert, dass man die Daten praktisch täglich abspeichern muss, um einen Datensatz aufzubauen.»

Um dieses Datengewinnungs-Problem zu lösen, kooperierten sie inzwischen mit Informatikerinnen & Informatikern der Universität Basel unter Leitung von Heiko Schuldt. Diese Art der Forschung hängt also von der Kooperation mit den sozialen Plattformen oder aber den technischen Mitteln ab, die Hürden bei der Datengewinnung zu überwinden. 

Auch deshalb hat sich die Analyse lange Zeit auf die Textdaten beschränkt. Bilder und Videos blieben aussen vor.

Ein weiteres laufendes Forschungsprojekt will das ändern. Das Projekt «Visual Politician» startete schon Anfang 2021 und stellt die Forschungsfrage dabei wie folgt: Welche Rolle spielen Bilder in der Onlinekommunikation zwischen den Parteimitgliedern und den Wählenden? 

Das Forschungsteam um Prof. Bailer und um Informatiker Heiko Schuldt widmete sich dem Bild dabei in einem interdisziplinären politik- und computerwissenschaftlichen Ansatz – ein technisch anspruchsvolles Vorgehen.

Während man in der Textanalyse schon viel weiter war und bereits automatische Texterkennungsverfahren, Schlagwörter und Wörterbücher anwendete, sei man bei der Bilderkennung häufig noch auf die primär von Google entwickelten Optionen angewiesen, so Frau Prof. Bailer. Diese Anwendungen seien sehr effizient bei der Erkennung von Gesichtsausdrücken und können beispielsweise schon zwischen einem traurigen Gesichtsausdruck und einem fröhlichen Lächeln unterscheiden. Damit konnten die Forschenden zumindest quantitativ untersuchen, wie freundlich sich die Politikerinnen & Politiker darstellen. Ausserdem erkannten diese Algorithmen beispielsweise, ob sich patriotische Symbole im Bild befanden, ob die Leute Krawatten trugen und ob noch andere Leute auf dem Bild gezeigt waren oder ob sich die Szene in der Natur abspielte.

Für das Projekt erhielt das Forschungsteam besseren Zugang zu den Daten von Facebook und von Instagram, sodass ein Bildfokus möglich wurde. «Bilder sind so wichtig, weil sie Emotionen hervorrufen, und diese sind in der Politik von immer grösserer Bedeutung», sagt Frau Prof. Bailer. 

Gerade Freundlichkeit, aber vor allem Angst und Wut seien die grossen Schlagwörter der Wahlforschung, so die Politikwissenschaftlerin. «Man geht davon aus, dass diese Emotionen auch wirklich das politische Verhalten der Bürgerinnen und Bürger beeinflussen.»

Deshalb wolle sie anregen, dass man in Zukunft sowohl Bild wie Text untersuchen müsse, sagt Frau Bailer. So wurde in ersten Analysen über schweizerische und deutsche Politikerinnen & Politiker untersucht, wie oft sie ihr eigenes Gesicht in einem Selfie zeigen würden oder wie oft sie sich zusammen mit anderen Menschen porträtieren würden – zum Beispiel mit den Führungspersonen aus ihrer Partei. Solche Fotos sendeten den Wählerinnen & Wählern zumindest ein Signal der Nähe, wie Frau Bailer sagte.

Eine weiterer Untersuchungsfokus sei das Geschlecht. «Hier interessiert uns vor allem, ob Frauen sich bildlich anders auf Instagram darstellen als Männer», sagte die Politikwissenschaftlerin. Social media biete insbesondere den Frauen eine Möglichkeit, sich so darzustellen, wie sie gerne gesehen werden wollen, meinte sie. «Die traditionellen Medien stellen sie immer noch verzerrt und mit Klischees beladen dar. Sie werden dort ganz häufig nach ihren Kindern gefragt, oft werden ihre sozialen Charakteristika betont statt deren Führungsfähigkeiten.»

Ein gutes Beispiel dafür sei wieder die schon eingangs erwähnte SP-Nationalrätin & Ständeratskandidatin Flavia Wasserfallen. «Sie hat einen spontanen, authentischen Zugang zu ihrem Instagram-Profil, wo sie sich als facettenreiche Frau zeigt», so Stefanie Bailer. Sie zeige, dass sie einerseits seriöse Politik in Parlament und der ARENA von SRF gestalte, dass sie aber gleichzeitig auch Spass und ein Familienleben habe. Diese Kombination sei ein gelungenes Signal, dass Politikerinnen vielseitig und authentisch sein können.

Auf Nachfrage gäbe Flavia Wasserfallen an, dass sie für ihren Auftritt auf den sozialen Medien kein fixes Konzept habe: «Ich poste vieles aus dem Moment oder dem Gefühl heraus. Gewisse Kanäle nutze ich strikt nur für politische Inhalte, bei Instagram vermischen sich Politisches und Persönliches. Ich habe mir in diesem Bereich aber rote Linien gesetzt, die ich nicht überschreite.»

Sie wünsche sich, dass es möglich bleibt, ohne Preisgabe von Persönlichem politisch tätig sein zu können, betont die Wahlkandidatin. Die Entscheidung müsse aber jede und jeder für sich selbst treffen. «Dabei muss man wissen: Je grösser dieser Einblick in die Privatsphäre ist, desto grösser wird der öffentliche und mediale Anspruch darauf – in guten wie in schlechten Zeiten.»

Augenmass und zweimaliges Überlegen sind nach den Aussagen der Forschenden wohl somit bei den Politikerinnen & Politikern beim Einsatz in social media gefragt.  

Augenmass und eine gewisse Zurückhaltung aber auch bei den hiesigen Wählerinnen & Wählern bezüglich der privatesten Dinge aus dem Leben der Politikerinnen & Politiker. Schlichtweg ist wieder die auch im Ausland einstmals geschätzte traditionelle schweizerische Diskretion gefragt, die ja aktuell stark am Erodieren is

t.

Die social media bleiben für die Politikerinnen & Politiker weiterhin ein Experimentiergelände. Und für die Wissenschaft ein lohnendes Forschungsfeld.

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